David Cameron - Der Hochmut vor dem Fall

Britain´s Prime Minister David Cameron speaks to pupils during a visit to Reach Academy Feltham, in south west London
Britain´s Prime Minister David Cameron speaks to pupils during a visit to Reach Academy Feltham, in south west London(c) REUTERS (POOL)
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Der scheidende britische Premierminister, David Cameron, ist ein politischer Gambler, der alles verspielte, sogar seine Karriere. Ein Reformer, der die Folgen seines Tuns nicht einkalkulierte.

London. Angetreten war er, Großbritannien umfassend zu erneuern. „Das politische System ist kaputt, die Wirtschaft ist kaputt und ebenso die Gesellschaft”, sagte David Cameron im März 2010 in einem Interview mit dem „Economist”. Zwei Monate später war er britischer Premierminister. Seine Chance hat er nicht genützt. Nach sechs Jahren im Amt muss Cameron heute, Mittwoch, Queen Elizabeth II. seinen Rücktritt anbieten.

In die Geschichte eingehen wird Cameron für etwas, das er nicht wollte: Er ist der Mann, der Großbritannien nach 43 Jahren aus der EU führte. Wie es dazu kam, war symptomatisch für seine Art, Politik zu machen. Nachdem seine Partei, die Konservativen, sich über Jahrzehnte in der Europa-Frage intern bekriegt hatte, wollte Cameron die Frage „ein für alle Mal klären“ – und zwar durch einen Gewaltakt: Im Jänner 2013 versprach er eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft seines Landes.

Erst Historiker werden beantworten, was Cameron, der sich als EU-Skeptiker, nicht aber EU-Hasser zu positionieren versuchte, dazu veranlasste. Kenner des scheidenden Premiers sagen, dass er davon ausging, die Ankündigung nicht umsetzen zu müssen: Die Konservativen waren in einer Koalition mit den EU-freundlichen Liberaldemokraten, die ein Veto über ein Referendum hatten, und für die nächste Wahl 2015 sah es in allen Umfragen für Cameron düster aus.

Als er aber bei der Wahl im Mai 2015 gegen alle Erwartungen die erste absolute Mehrheit für die Tories seit 1992 gewann, war Cameron nicht nur für wenige Tage der strahlende Held seiner Partei, sondern es war auch die Stunde der Wahrheit gekommen. Indem er gegen den ausdrücklichen Rat seines engsten Mitstreiters, Schatzkanzlers George Osborne, an der EU-Volksabstimmung festhielt, setzte er alles auf eine Karte.

Mit derselben Leichtfertigkeit hatte er 2014 einem Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands zugestimmt. Während Cameron diese Volksabstimmung – nach einigem Zittern – noch gewann, stimmten die Briten am 23. Juni mit 52 Prozent gegen den Verbleib in der EU. Damit führte der Premier sein Land nicht nur aus dem wichtigsten wirtschaftlichen Bündnis des Westens. Auch die Zukunft des Vereinigten Königreichs steht auf der Kippe, denn Schottland will unter allen Umständen in der EU bleiben.

In eine sinnlose Schlacht gejagt

Dass Cameron derartig sorglos ein solches Risiko eingegangen ist, entspricht der Denkweise mancher Vertreter der britischen Oberschicht, die davon ausgehen, dass ihre Taten keine Folgen haben, und sollte dies doch der Fall sein, dass sie jedenfalls ungeschoren davonkommen. Sprösslinge alter und wohlhabender Familien wie Camerons, Osbornes oder Johnsons gehen auf die besten Schulen, bekommen die beste Ausbildung und landen in den besten Jobs. Was sie jedoch nicht lernen, ist soziale Verantwortung.

Sie handeln im Glauben an ihre Unverwundbarkeit, und dass sie bei jedem Sturz wieder auf den Füßen landen werden. Die britische Militärgeschichte ist voll von „Helden“, die ihre Soldaten in sinnlose Schlachten jagten, um noch Lorbeer als „ehrenvolle Verlierer“ zu ernten.

Diese Selbstgewissheit kann mutig machen: Cameron und Osborne setzten schmerzhafte Schritte zur Sanierung des Staatshaushalts und der Erholung der Wirtschaft. Die Kosten trug freilich der kleine Mann, der ihnen nun die Gefolgschaft verweigerte.

Auf gesellschaftlichem Gebiet war Cameron ein Liberaler, der seine Partei mit der Gegenwart versöhnen wollte. Die Partei-Rechte wollte das nie. Versuche eines Konservativismus mit Herz wurden rasch aufgegeben. Die Ehe für Homosexuelle setzte er gegen den Willen weiter Teile der Basis durch. Die EU-Herausforderung nahm Cameron an, weil er sie zunächst nicht einmal ernst nahm.

In seinen letzten Tagen im Amt war von ihm kein Wort des Bedauerns zu hören. Fast wie ein Naturgesetz wurde in seinem Lager immer wieder das Diktum von Enoch Powell zitiert: „Alle politischen Karrieren enden im Scheitern.“ Als er seine letzten Worte an die Öffentlichkeit gerichtet hatte, kehrte Cameron am Montag den Kameras den Rücken und kehrte zur berühmten Tür von 10 Downing Street zurück. Man hörte ihn ein Lied summen. Es war eine fröhliche Melodie.

AUF EINEN BLICK

David Cameron war seit Mai 2010 britischer Premierminister. Nach einer Koalition mit den Liberalen schaffte er 2015 bei den Unterhauswahlen überraschend die absolute Mehrheit. Er wollte die strittige Europa-Frage in seiner Partei für alle Zeiten klären und kündigte 2015, wie im Wahlkampf versprochen, die Abhaltung einer Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft an. Am heutigen Mittwoch wird er sein Amt an die bisherige Innenministerin, Theresa May, übergeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2016)

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