Ahtisaari: „Türkei-Beitritt bringt kaum Risken“

(c) Reuters (Hazir Reka)
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Nobelpreisträger Martti Ahtisaari wirbt für die EU-Erweiterung, für Investitionen im Kosovo und mehr Offenheit gegenüber Zuwanderern.

„Die Presse“: Sie haben sich in Alpbach frustriert darüber gezeigt, dass es am Westbalkan trotz all Ihrer Bemühungen nur langsam zu einer Annäherung der ethnischen Gruppen kommt. Werden es Länder wie der Kosovo je schaffen, ohne internationale Aufsicht ihren eigenen Weg zu gehen?

Martti Ahtisaari: Ja, das werden sie. Oberste Priorität muss nun sein, die ökonomischen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Internationaler Währungsfonds und Weltbank haben das erkannt. Nun hoffe ich, dass auch die europäischen Finanzinstitute folgen. Eine der Chancen liegt im Energiesektor. Der Kosovo könnte mit seinen großen Kohlevorkommen zu einem wichtigen Energielieferanten werden. Wir müssen vor allem für die Jugendlichen Arbeitsplätze schaffen, sonst werden viele in die Kriminalität abdriften. Natürlich muss die Arbeit auch im Aufbau der Verwaltung fortgesetzt werden. Und zum ethnischen Problem: Serben wie Kosovaren müssen daran erinnert werden, dass sie niemals Mitglieder der Europäischen Union werden können, wenn es ihnen nicht gelingt, friedlich zusammenzuleben.

Soll die Anerkennung des Kosovo eine Voraussetzung für Serbien sein, überhaupt Kandidat für eine EU-Mitgliedschaft zu werden?

Ahtisaari: Die Serben dürfen die Unabhängigkeit des Kosovos nicht unterminieren. Wir dürfen solche Probleme nicht importieren. Wir haben bereits das Zypern-Problem, wir haben den Grenzstreit zwischen Slowenien und Kroatien.

Kann eine EU-Mitgliedschaft wirklich alle Probleme lösen? Bei dem von Ihnen angesprochenen Beispiel Zypern ist das nicht gelungen. Bis heute hat der EU-Beitritt nichts an der Teilung der Insel geändert.

Ahtisaari: Natürlich schränkt das unsere Glaubwürdigkeit als internationale Organisation ein, wenn wir unsere eigenen Probleme nicht in den Griff bekommen. Denn wie sollen wir dann woanders helfen? Ich habe schon in meiner Rede zum Nobelpreis gesagt, wir dürfen das Einfrieren von Konflikten nicht hinnehmen. Wir müssen diese Probleme lösen.

In einigen EU-Ländern formiert sich Widerstand gegen eine fortgesetzte Erweiterung der Union. Die deutsche CDU fordert einen Stopp der Aufnahme nach Kroatien. Ähnliche Forderungen kommen aus Frankreich und Österreich. Wird das negative Auswirkungen auf die Friedensbemühungen in Regionen wie dem Westbalkan haben?

Ahtisaari: Ja, aber auch das droht unsere Glaubwürdigkeit zu zerstören. Wir haben die Regel, dass alle Länder Mitglied werden können, die dafür die notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Als mit der Türkei Beitrittsverhandlungen beschlossen wurden, war dieser Beschluss einstimmig. Jetzt müssen wir uns daran halten.

Sie sind für eine Mitgliedschaft der Türkei. Verstehen Sie aber auch, warum viele Menschen skeptisch sind?

Ahtisaari: Ich frage mich, wie wir normale Beziehungen zur islamischen Gesellschaft haben können, wenn wir uns nicht einmal vorstellen können, einem Land wie der Türkei die Türe für eine Mitgliedschaft zu öffnen. Natürlich spreche ich als einer, in dessen Land es eine sehr geringe Zahl an Zuwanderern gibt. Aber das Problem dürfte entstanden sein, als Menschen aufgenommen wurden, ohne ihnen klarzumachen, dass sie sich auch integrieren müssen. Ich kann mich an Berechnungen aus den 90er-Jahren erinnern, wonach allein die EU der damals 15 Mitgliedstaaten 1,4 Millionen zugewanderte Arbeitskräfte pro Jahr benötigte. Mittlerweile ist diese Zahl noch gestiegen. Wir müssen uns darauf einstellen, mit Ausländern zu leben. Andernfalls können wir unsere Gesundheitssysteme, die Pflege von Älteren und vieles mehr nicht aufrechterhalten.

Brauchen wir deshalb auch einen türkischen Beitritt?

Ahtisaari: Natürlich. Uns muss klar sein, dass es mittlerweile einen internationalen Wettbewerb um Zuwanderer gibt. Und es ist höchste Zeit, das zu realisieren.

Sie werden in den nächsten Tagen einen Bericht zur Beitrittsreife der Türkei vorlegen. Sehen Sie auch Risken in diesem Beitritt?

Ahtisaari: Das bringt kaum Risken. Ich sehe die Vorteile: Die Türkei kann bei den neuen Versuchen zur Lösung des Nahostkonflikts eine wichtige Rolle spielen. Die türkische Gesellschaft hat sich positiv verändert, die Wirtschaft ist gewachsen. Wir wollen mit diesem Bericht vor allem zu einer rationalen Debatte beitragen. Wir haben von jedem Beitritt profitiert. Schauen Sie nur auf das Beispiel Irland.

Aber die Türkei ist ein weit größeres Land, sie hat 70 Millionen Einwohner. Provozieren wir in der EU damit nicht auch eine ethnische, kulturelle Mischung, auf die wir gar nicht vorbereitet sind? Gerade das Beispiel Westbalkan zeigt, wie schwierig es ist, so ein Zusammenleben zu organisieren.

Ahtisaari: Wenn solche Länder nicht die Aussicht auf einen EU-Beitritt hätten, wären die Probleme noch weit größer. Uns muss aber auch klar werden, dass wir ohne sie unseren eigenen hohen Lebensstandard nicht aufrechterhalten können.

Wie aber wollen Sie das skeptischen EU-Einwohnern vermitteln?

Ahtisaari: Ich bin da nicht so pessimistisch. Wenn es eine Notwendigkeit gibt, werden es die Menschen verstehen. Wir dürfen einfach nicht zulassen, dass uns Populisten in so wichtigen Fragen in die falsche Richtung drängen.

ZUR PERSON

Martti Ahtisaari hat in zahlreichen Konflikten vermittelt, zum Beispiel in Namibia, Indonesien und am Balkan. 2000 war er einer der „drei Weisen“, die einen Bericht über die FPÖ-Regierungsbeteiligung verfassten. 2008 erhielt der ehemalige finnische Staatspräsident den Friedensnobelpreis. Am Wochenende und am gestrigen Montag nahm der 1937 geborene Ahtisaari erstmals an den politischen Gesprächen beim Forum Alpbach teil, wo auch dieses Interview geführt wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2009)

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