Griechenland fürchtet neue Fluchtwelle aus der Türkei

Stranded migrants charge their phones on a field with electricity provided by a generator at the Greek-Macedonian border near the Greek village of Idomeni
Stranded migrants charge their phones on a field with electricity provided by a generator at the Greek-Macedonian border near the Greek village of IdomeniREUTERS
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Die Angst vor einer weiteren Fluchtwelle aus der Türkei wächst, Athen hat die Kontrollen auf den Ägäis-Inseln verschärft. Auch die wirtschaftliche Lage bleibt angespannt.

Brüssel/Wien/Athen. Noch sind es Einzelfälle, doch die Zahlen könnten schon in den nächsten Tagen nach oben schnellen. Griechenland hat alarmiert auf die sich zuspitzende Lage in der Türkei reagiert – und die Flüchtlingskontrollen in der Ostägäis in den vergangenen Tagen massiv verschärft. Die Regierung in Athen fürchtet, dass zahlreiche flüchtige Putschisten versuchen wollen, auf eine der Ägäis-Inseln zu gelangen. Schon vor einer Woche waren mehrere Militärs aus der Türkei an Bord eines Hubschraubers nach Alexandroupolis geflohen. Sie wurden mittlerweile nach Athen überstellt und wegen illegaler Grenzübertretung zu einer Haftstrafe von zwei Monaten auf Bewährung verurteilt.

Die Flüchtlingssituation im Land ist ohnehin äußerst angespannt: Seit Inkrafttreten des umstrittenen EU-Deals mit Ankara am 20. März wurden lediglich 468 Menschen in die Türkei zurückgeschickt; die meisten Ankömmlinge – insgesamt knapp 10.000 – haben einen Asylantrag gestellt. Sie warten seit Wochen in überfüllten Lagern auf einen Bescheid. Auseinandersetzungen zwischen den Bewohnern stehen auf der Tagesordnung: Erst kürzlich starb ein 20-jähriger Afghane nach einem Streit mit mehreren Landsleuten im Flüchtlingslager Hellinikon, wo 3000 Menschen leben.

Rücksendung unsicher

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Flüchtlinge – wie dies eigentlich geplant war – nach einem möglichst schnellen Asylverfahren in die Türkei zurückgeschickt werden, sinkt indes von Tag zu Tag. Zuletzt hat Recep Tayyip Erdoğan bekanntlich sogar die Europäische Menschenrechtskonvention ausgesetzt (siehe auch Seite 4).

Zudem wächst in der EU die Befürchtung, dass der erratisch agierende Präsident den Flüchtlingspakt schon bald einseitig aufkündigen könnte. Der Ansturm auf die Ägäis-Inseln dürfte in diesem Fall binnen kurzer Zeit ähnliche Ausmaße annehmen wie im vergangenen Februar: Damals kamen durchschnittlich 2000 Menschen täglich über den Meerweg an. Für Griechenland, das nach wie vor auch mit der prekären wirtschaftlichen Lage zu kämpfen hat, eine kaum bewältigbare Situation.

Lediglich auf der innenpolitischen Bühne geht es in diesen Wochen etwas ruhiger zu – auch wenn Premierminister Alexis Tsipras nicht nur Erfolge verbuchen kann. Donnerstagabend erzielte er immerhin einen Teilerfolg: Das Parlament in Athen stimmte einem Vorschlag der Regierungspartei Syriza zu, das Wahlgesetz zu ändern und den Mandatsbonus für den Sieger der Parlamentswahl zu streichen. Bis dato erhielt die siegreiche Partei zusätzlich zum erzielten Wahlergebnis weitere 50 Parlamentssitze – eine Regelung, von der Syriza bei der Parlamentswahl im Jänner 2015 noch profitiert hatte. Der Meinungsumschwung hat weniger mit theoretischen Überlegungen zum Zustand der griechischen Demokratie zu tun als mit der Tatsache, dass die oppositionelle Mitte-rechts-Partei Nea Dimokratia (ND) in allen Umfragen um vier bis sechs Prozentpunkte vor Syriza liegt. Durch die Reform wolle Tsipras seine Macht absichern, kritisiert ND-Chef Kyriakos Mitsotakis.

Hilfsprogramm angelaufen

Gelungen ist es dem Premierminister nicht zur Gänze, denn die Mehrheit war nicht groß genug, um die Gesetzesänderung sofort in Kraft treten zu lassen. Die neue Mandatsverteilung wird erst bei der übernächsten Parlamentswahl gelten – also spätestens 2023, denn das nächste reguläre Votum findet 2019 statt.

Bis dahin sollte immerhin klar sein, wie es mit den griechischen Staatsschulden weitergeht, die momentan bei rund 180 Prozent des BIPs liegen – ein europäischer Rekord. Das dritte, 86 Mrd. Euro schwere Hilfsprogramm der internationalen Geldgeber, ist nach anfänglichen Schwierigkeiten angelaufen – am Mittwoch konnten die Griechen 2,3 Mrd. Euro an die europäische Zentralbank zurückzahlen, weil sie zuvor 7,5 Mrd. Euro aus dem Hilfsprogramm erhalten hatten. Da die Auszahlung weiterer Tranchen an (unpopuläre) Reformzusagen geknüpft ist, könnten allerdings noch Schwierigkeiten auftauchen. Immerhin weiß Tsipras die US-Regierung auf seiner Seite. So legt US-Finanzminister Jack Lew seinen europäischen Kollegen eine Restrukturierung der griechischen Verbindlichkeiten nahe. Auch der IWF fordert seit geraumer Zeit eine Reduktion der Schuldenlast.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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