Kopfzerbrechen in Brüssel: Was tun mit Polen?

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FILES-POLAND-BRITAIN-EU-POLITICS(c) APA/AFP/JANEK SKARZYNSKI (JANEK SKARZYNSKI)
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Bei ihrem letzten Treffen vor der Sommerpause wird die EU-Kommission auch über die Lage in Polen sprechen. Warschau hat die umstrittene Reform des Verfassungsgerichts etwas entschärft – zu wenig, meinen Kritiker.

Brüssel. Krisen, so weit das Auge reicht – und dazwischen einige freie Tage. Wenn das Gremium der EU-Kommissare am heutigen Mittwoch zu seiner letzten planmäßigen Sitzung vor der traditionellen Brüsseler August-Siesta zusammentrifft, wird es in erster Linie um die großen Baustellen Brexit und Budgetpolitik gehen: Neben Beratungen über den Aufgabenbereich des künftigen britischen Kommissars, Julian King, geht es heute vor allem um mögliche Strafen für die Defizitsünder Spanien und Portugal. Über ein weiteres Thema, das aufgrund der vielen dramatischen Ereignisse von den europapolitischen Radarschirmen verschwunden ist, werden sich die Mitglieder der Brüsseler Behörde ebenfalls die Köpfe zerbrechen: die sich verschlechternde demokratiepolitische Lage in Polen. Dem Vernehmen nach wird die Kommission am Mittwoch Stellung zu den Ereignissen in Warschau beziehen.

Die im Herbst des Vorjahres triumphal in Regierungsämter gewählte populistisch-patriotische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat sich bekanntlich darangemacht, alle Bastionen des Widerstands zu schleifen. Prominentestes Opfer war bisher das Verfassungsgericht, das Ende 2015 durch Gesetzesänderungen de facto lahmgelegt wurde – weshalb sich die EU dazu veranlasst sah, zu Jahresbeginn ein Verfahren zur Prüfung der Rechtsstaatlichkeit gegen Polen einzuleiten. Das erste Urteil über die Reform des Höchstgerichts fiel verheerend aus.

Anfang Juli – im Vorfeld des Nato-Gipfels in Warschau – milderte die Regierung ihr ursprüngliches Knebelgesetz ab, eine weitere Anpassung der Vorschriften folgte vergangene Woche. So wurde unter anderem die umstrittene Regelung abgeschafft, wonach das Gremium seine Entscheidungen nicht mit einer einfachen, sondern mit einer Zweidrittelmehrheit fällen muss. Ob die Nachjustierungen der Kommission reichen werden, bleibt abzuwarten – Regierungskritikern in Polen gehen sie aber nicht weit genug. Zudem macht die PiS-Regierung keinerlei Anstalten, von ihren Plänen eines Totalumbaus des Staates abzurücken. In der Zwischenzeit wurde unter anderem das Antiterrorgesetz verschärft. Für einen Lauschangriff wird künftig keine richterliche Genehmigung benötigt, auch können Bürger für 14 Tage in Untersuchungshaft genommen werden, wenn eine „Wahrscheinlichkeit“ terroristischer Verbindungen vorliegt. Das Gesetz wurde von der Regierungspartei ohne Rücksicht auf Expertenmeinung durchgepeitscht.

Diese Umbauarbeiten finden vor dem Hintergrund eines Abgleitens in alte Denkmuster zurück, die man in Polen für überwunden hielt. Für die jüngste Kontroverse sorgte Erziehungsministerin Anna Zalewska, die die Beteiligung polnischer Bürger am Judenpogrom von Jedwabne 1941 anzweifelte. Aus der Perspektive vieler PiS-Wähler und Funktionäre waren Polen ausschließlich Opfer des Zweiten Weltkrieges und hatten keinerlei Verantwortung an Verbrechen gegen ihre jüdischen Mitbürger – eine Sicht, die von Historikern längst widerlegt wurde.

Kritik prallt ab

Kritik aus dem Ausland ließ man in Warschau abprallen. Sollte sich Papst Franziskus zu Wort melden, würden es die deklarierten Katholiken in der Regierungspartei etwas schwerer haben. Der Pontifex weilt derzeit anlässlich des Weltjugendtages in Polen, und vor allem was den Umgang mit Flüchtlingen anbelangt, hat er völlig andere Ansichten als die Regierung in Warschau. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2016)

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