EU-Vertrag: In Irland droht erneut ein Debakel

(c) AP (Frank Franklin II)
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Das Pro-Lager in Irland schrumpft, Unentschlossene könnten EU-Vertrag kippen. Momentan sind immer noch 46 Prozent der Iren dafür, im Mai waren es noch 54 Prozent.

DUBLIN/WIEN. Es war eine Schreckensnachricht, die ausgerechnet die EU-freundliche „Irish Times“ Ende der Woche verkündete: Das Lager der Befürworter des EU-Vertrags sei empfindlich geschrumpft, zitiert die irische Tageszeitung aus einer neuen Umfrage, die sie in Kooperation mit dem Institut „TNS mrbi“ durchgeführt hat. Demnach sagen zwar immer noch 46 Prozent der Iren Ja zum EU-Vertrag von Lissabon, über den sie am 2. Oktober zum zweiten Mal abstimmen. Doch im Mai waren es noch 54 Prozent. Die sichere „Absolute“ hat das Reformpaket also nicht mehr, das die EU-Institutionen stärken und Entscheidungen unter den 27 Mitgliedstaaten erleichtern soll.

Und das erinnert Befürworter unangenehm an das erste irische Referendum im Juni 2008: Damals hatte es zuerst ebenfalls nach einer Mehrheit ausgesehen, ehe doch noch 53 Prozent Nein zum Text sagten. Die EU-Reform, die der Lissabon-Vertrag bringen sollte, war damit europaweit auf Eis gelegt. Denn ohne die Zustimmung der Iren geht nichts mehr. Am Ausgang ihres Referendums orientieren sich auch Polen, Tschechien und Deutschland, die ebenfalls noch Ja sagen müssen.

Inzwischen sind der neuen Umfrage zufolge zwar nur noch 29 Prozent der Iren Gegner des EU-Vertrags, im Mai waren es mit 28 ähnlich viele – oder wenige. Doch das Lager der Unentschlossenen ist deutlich gewachsen: Diese Gruppe macht inzwischen 25 Prozent der Befragten, nicht mehr nur 18 Prozent wie im Mai, aus.

Gegner sind entschlossener

Wie schon beim ersten Referendum werde es aber gerade an den Unentschlossenen liegen, ob der EU-Vertrag den Sanctus aus Irland bekomme, betont Antonio Missiroli, Chefpolitologe der Brüsseler Denkfabrik „European Policy Centre“, gegenüber der „Presse“. Und auch das Lager der Befürworter könnte last minute noch deutlich schrumpfen, glaubt er. Denn anders als die Gegner seien die Befürworter nicht sehr überzeugt. Alles liege jetzt an der Fähigkeit – oder Unfähigkeit – der Regierung unter Premierminister Brian Cowen, das eigene, also das Pro-Lager, zu mobilisieren. Dieses Vorhaben sei 2008 auch deshalb gescheitert, weil das Nein-Lager mit der „Libertas“-Bewegung um den irischen Geschäftsmann Declan Ganley so stark war. Nun hat sich „Libertas“ zwar zurückgezogen, auch andere Antivertragskampagnen sind eher unauffällig.

Doch die Regierung des konservativ-liberalen Cowen könnte am 2. Oktober einen Denkzettel für ihre Politik der vergangenen Monate präsentiert bekommen: Der Mehrheit der Iren ist die Regierung viel zu unentschlossen gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise vorgegangen. Irland zählt zu den größten Opfern der Entwicklungen, die in den USA ihren Ausgang genommen haben. Am Ende könnte das Zögern der irischen Regierung ein „Nein“ zum EU-Vertrag bringen.

Und das würde die EU in ein echtes Debakel stürzen: Nach einem zweiten Nein könnte man den Iren das gleiche Dokument kein drittes Mal vorlegen, sind sich Experten und EU-Politiker einig. Als einziger Ausweg, die EU-Reform wenigstens in Teilen zu retten, gilt dann ein „Kerneuropa“: Einzelne Mitgliedstaaten, die das wollen, könnten in verschiedenen Politikfeldern enger zusammenrücken – bis hin zur Steuerpolitik, die derzeit streng nationale Kompetenz ist. Damit käme aber ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“, das die EU-Länder lange vermeiden wollten. Außerdem ist noch unklar, wie ein „Kerneuropa“ organisatorisch überhaupt funktionieren könnte.

EU-Vorsitz: „Kein Plan B“

Der schwedische EU-Vorsitz erklärte am Freitag, es gebe keinen „Plan B“ für den Fall, dass die Iren tatsächlich Nein sagen. Auch die EU-Kommission hatte dies betont. Am Ende könnte aber gerade sie dazu gezwungen sein, rasch eine Alternative zu bieten. Denn bleibt der aktuelle Vertrag von Nizza, müsste sie ab November schrumpfen. Mindestens ein Kommissar müsste dann gehen. Und das wäre nicht nur für die Iren eine schlechte Aussicht.

AUF EINEN BLICK

Am 2. Oktober stimmen die Iren ein zweites Mal über den EU-Vertrag von Lissabon ab. Im Juni 2008 hatten 53 Prozent Nein zu dem Text gesagt, der die EU-Institutionen stärken soll. Viele fürchteten, Irland könne seinen EU-Kommissar und seine Souveränität bei Neutralität oder Abtreibungsverbot verlieren. Inzwischen garantierten die EU-Partner schriftlich das Gegenteil.
Durch die Finanzkrise schätzten die Iren die Zugehörigkeit ihres Landes zur EU wieder mehr, auch der EU-Vertrag erschien ihnen sinnvoller. Noch im Mai sagten 54 Prozent Ja, heute sind es nur noch 46 Prozent. Schon im Vorjahr hatte es lange nach einer Mehrheit für den EU-Vertrag ausgesehen, sodass die EU-Partner ein Déjà-vu befürchten. Dann wäre der Vertrag Geschichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2009)

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