Brüssel plant ein neues EU-Visasystem

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US-FIRST-U.S.-COMMERCIAL-AIRLINE-FLIGHT-TO-CUBA-DEPARTS-FROM-FLO(c) APA/AFP/GETTY IMAGES/JOE RAEDLE
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Nach dem US-Vorbild Esta will Brüssel von Einreisenden vorab Daten sammeln. Das Projekt ist politisch brisant, könnte aber lukrativ sein.

Wien/Brüssel. Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit wird derzeit in der EU ein neues Visamodell vorbereitet, das die Ein- und Ausreise nach Europa deutlich verändern wird. Konkret handelt es sich um das Europäische Reiseinformations- und Genehmigungssystem (Etias), das dem Modell des US-Systems Esta sehr ähnlich sein soll: Damit regelt Washington, wer zur Einreise berechtigt ist. Mitte November soll das Projekt offiziell den europäischen Regierungen vorgestellt werden, heißt es in der EU-Kommission.

Überlegungen für ein solches System gibt es schon länger; der Terror in mehreren EU-Ländern hat jetzt dazu geführt, dass das Projekt beschleunigt wird. Anfang Juli hat der griechische EU-Kommissar für Migration und Inneres, Dimitris Avramopoulos, bei einem informellen Treffen die EU-Justiz- und Innenminister über die Pläne der Kommission informiert, ein Esta-ähnliches System einführen zu wollen.

Am 23. August legten die Innenminister von Frankreich und Deutschland im Zuge eines verstärkten Antiterrorkampfes der EU-Staaten ihren Aktionsplan für mehr Sicherheit vor. Ein wichtiger Punkt dieses vierseitigen Maßnahmenkataloges ist ebenfalls das neue europäische Visasystem.

Etias ist für all jene Nicht-EU-Bürger vorgesehen, die kein Visum für den Schengen-Raum benötigen. Analog zum US-System Esta müsste jeder Grenzübertritt vorher online angekündigt und genehmigt werden, wobei nicht nur Personendaten, sondern auch Informationen über den Zweck der Reise sowie andere Reisedetails bekannt gegeben werden müssen. Die Behörden würden dann jedenfalls eine Fülle von Informationen über die Einreisenden haben; zugleich sei damit sichergestellt, dass niemand seine Visa-Aufenthaltsdauer überschreite, heißt es in Kommissionskreisen.

Zweiter Schutzwall?

Das Projekt Etias ist aber auch in Hinblick auf die Türkei von großer Bedeutung. Denn selbst wenn es eines Tages Visafreiheit für türkische Bürger geben sollte, müssten diese via Etias wieder um Genehmigung ansuchen. Als zweiter Schutzwall wird das Registrierungssystem bereits bezeichnet.

Brisant sind die Etias-Pläne auch für die Briten. Denn Mitglieder des EU-Binnenmarktes wären aufgrund der Freizügigkeit der Arbeitnehmer von der Regelung ausgenommen. Sollte London aber den Binnenmarkt verlassen, müssten in Hinkunft auch die Briten um eine Einreise in die EU elektronisch ansuchen. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass das Projekt Etias in das Ressort des griechischen Migrationskommissars fällt, und nicht in den Bereich des künftigen Sicherheitskommissars, des Briten Julian King.

Für die EU könnte sich das neue Visasystem aber auch finanziell sehr positiv auswirken. Wie das EU-Onlinemedium EurActiv dieser Tage vorgerechnet hat, könnte Etias im Jahr mindestens 500 Mio. Euro in den EU-Haushalt spülen. Angenommen wurde bei dieser Berechnung eine 13-Euro-Etias-Gebühr (die USA verlangen 14 Dollar). Die Gebühr könnte aber auch deutlich höher werden; derzeit gibt es nur Vorschläge, entschieden ist nichts. Von den rund 600 Mio. Touristen, die Europa besuchten (2014), mussten nach Angaben der Welttourismuskommission 30 Millionen kein Schengen-Visum beantragen; sie würden also in das Etiuas-System fallen.

In ersten Reaktionen, vor allem von grüner Seite im Europaparlament, wird vor einer allzu großer Datensammelwut gewarnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2016)

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