Brüssel träumt von EU-Armee

Juncker
Juncker(c) APA/AFP/POOL/ETIENNE OLIVEAU
  • Drucken

EU-Kommission plant einen Vorstoß für eine engere militärische Zusammenarbeit auf freiwilliger Basis. Unterstützung kommt aus Osteuropa sowie von Frankreich, Italien und Deutschlan

Wien/Brüssel. Jahrelang war die Weiterentwicklung der Gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) blockiert. Vor allem Großbritannien hat die Ambitionen gebremst. Doch die aktuelle Terrorgefahr und die zunehmend prekäre Sicherheitslage in der Nachbarschaft der EU bringen wieder Bewegung in die Pläne für eine engere militärische Kooperation der Mitgliedstaaten. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird, wie die „Financial Times“ berichtet, kommende Woche bei seiner Rede zur Lage der Union Vorschläge für eine engere Zusammenarbeit vorlegen, an deren Ende eine gemeinsame EU-Armee stehen könnte.
Konkret sollen sich die Mitgliedstaaten am Aufbau gemeinsamer Kampftruppen beteiligen. Ein gemeinsames Hauptquartier soll künftige Einsätze koordinieren. Außerdem sollen die teilnehmenden Länder ihre Waffen und ihre Ausrüstung noch stärker aufeinander abstimmen. Kein Land soll zur Teilnahme an dieser Zusammenarbeit gezwungen werden, doch dürfte nach Plänen der EU-Kommission ein gemeinsames militärisches Vorgehen dann auch von keiner dieser abseitsstehenden Staaten durch ein Veto behindert werden. Geplant ist, die bereits vorbereiteten „Battle Groups“ einzubeziehen. Sie umfassen jeweils 1500 Soldaten und sollen nach den einstigen Plänen innerhalb von zehn Tagen einsatzbereit sein.
Forderungen nach dem Aufbau einer EU-Armee sind zuletzt von den Visegrád-Ländern erhoben worden. Sie wünschen sich mehr Schutz vor einer militärischen Eskalation in ihrer östlichen Nachbarschaft. Auch Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, Frankreichs Staatspräsident, François Hollande, und Italiens Ministerpräsident, Matteo Renzi, wollen beim kommenden EU-Gipfel in Bratislava einen Vorstoß für eine engere militärische Zusammenarbeit einbringen. Sie haben vor allem die Risken durch Terrorismus und durch Krisenherde wie in Syrien und Nordafrika im Fokus. „Ich denke, es ist an der Zeit, sich in Europa nach vorn auf eine europäische Verteidigungsunion hinzubewegen“, sagte die deutsche Verteidigungsministerin, Ursula von der Leyen, am Donnerstag bei einem Besuch in Litauen.
Die neue Dynamik in der Sicherheitspolitik dürfte im Zusammenhang mit Großbritanniens Ausscheiden aus der EU stehen. Denn London hat aus Furcht, weitere Souveränität an Gemeinschaftsorgane abzugeben, in der Vergangenheit die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits und Verteidigungspolitik blockiert. Diese Vorbehalte gibt es freilich auch in mehreren anderen EU-Mitgliedstaaten.
Gebe es einen ausreichenden politischen Willen, so könnte das Projekt rasch umgesetzt werden, zeigt sich ein hoher Militär in Brüssel überzeugt. „Wenn die 27 sich tatsächlich dazu bereitfinden, der EU eine deutlich stärkere Rolle in der Gestaltung der Außenpolitik zuzugestehen, dann kann der Weg zu einer EU-Armee relativ kurz sein“, sagte der GSVP-Experte, der nicht mit Namen genannt werden wollte. Dringendster Schritt auf diesem Weg sei eine konsensuale Entscheidung über das angestrebte militärische Leistungsvermögen der EU.
Die Nato steht den Plänen zum Ausbau der EU-Sicherheitspolitik vorsichtig positiv gegenüber. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßte erst vergangene Woche die Vorstöße aus Ungarn und Tschechien für den Aufbau einer EU-Armee. Er warnte allerdings gleichzeitig vor „doppelten Strukturen“. Die Aufgaben der Europäischen Union und des transatlantischen Bündnisses sollten sich nicht überschneiden, so Stoltenberg.

Österreich will Außengrenze schützen

Das Wort EU-Armee nimmt man im neutralen Österreich zwar nicht in den Mund. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil sieht aber im Brexit eine Chance, seine versandeten Pläne für eine zivilmilitärische EU-Mission zum Schutz der Außengrenzen voranzutreiben. Sein Ressort erstellt derzeit ein Konzept, die Stoßrichtung ist schon jetzt klar: „Die GSVP sollte sich im Sinn der Erwartungshaltung der Bürger vermehrt den Herausforderungen der Migrationskrise und der Terrorabwehr stellen“, sagte Doskozil. Auch die Battle Groups könnten um Aufgaben der Terrorabwehr erweitert werden, heißt es. Doskozil will über seine Pläne in den nächsten Wochen mit Amtskollegen aus anderen Mitgliedstaaten reden – zunächst in Zentraleuropa. „Es gibt enorme militärische Ressourcen in Europa, die teilweise brachliegen“, heißt es im Verteidigungsministerium.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Europa

EU: Die Hoffnung auf den „Bratislava-Prozess“

Die slowakische Hauptstadt rüstet sich mit viel Polizei und inhaltlichem Ehrgeiz für das große EU-Treffen am Freitag. Es soll nicht weniger als die Krise beenden und eine geeinte, arbeitsfähige Gemeinschaft schaffen.
SEBASTIAN KURZ
Europa

EU prüft Stärkung von Armeen mit Entwicklungsgeldern

Die Kommission will Streitkräfte in Krisenstaaten besser unterstützen. Die Finanzierung ist umstritten. Österreich hält sich bedeckt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.