Flugdaten: Abkommen der EU mit Kanada steht auf der Kippe

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EuGH-Generalanwalt äußert Kritik: Weitergabe von Fluggastdaten verstößt gegen EU-Grundrechte.

Brüssel. Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH), Paolo Mengozzi, hat deutliche Kritik am Abkommen EU/Kanada zur Weitergabe von Fluggastdaten geübt, der Vertrag steht damit auf der Kippe. In seinen Schlussanträgen hat Mengozzi jetzt das Abkommen als „unvereinbar mit den Grundrechten der Europäischen Union“ bezeichnet und erklärt, dass es in seiner jetzigen Form nicht abgeschlossen werden dürfe. Der Gerichtshof ist zwar nicht an die Entscheidung des Generalanwalts gebunden, aber in etwa 80 Prozent der Fälle folgen die EuGH-Richter der Meinung des Anwalts.

Die vom Mengozzi kritisierten Punkte betreffen die Möglichkeiten zur Verarbeitung von PNR-Daten (Passenger Name Records) „über das unbedingt erforderliche Maß hinaus“ und die Verarbeitung, Nutzung und Speicherung von PNR-Daten, die sensible Daten enthalten. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass das Abkommen die Übermittlung von PNR-Daten an eine ausländische Behörde zulässt, ohne dass die zuständige kanadische Behörde von einer unabhängigen Stelle überwacht wird und sich zuvor vergewissert hat, dass die fragliche ausländische Behörde die Daten nicht selbst später an eine andere ausländische Stelle übermitteln kann.

Die Vereinbarung sieht vor, dass Kanada einen umfangreichen Datensatz von Reisenden wie etwa den Namen und die Adresse des Passagiers, Angaben zur Zahlungs- und Buchungsmethode, zur Kreditkartennummer, zum Sitzplatz und zum Gepäck erhält.

Abkommen wurde 2014 unterzeichnet

Das Abkommen wurde schon 2010 ausgehandelt. Es sieht die Datenübermittlung an die kanadischen Behörden zu ihrer Nutzung, ihrer Speicherung und gegebenenfalls ihrer späteren Weitergabe vor und sollte es den Behörden ermöglichen, Terrorismus und schwere Formen grenzübergreifender Kriminalität zu bekämpfen. Nach der Unterzeichnung des Abkommens im Jahr 2014 galt es, die Zustimmung des Europäischen Parlaments zu bekommen. Dieses hat daraufhin beschlossen, den Gerichtshof mit der Frage zu befassen, ob der Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz gerechtfertigt ist.

Der Generalanwalt verweist in seinen Schlussanträgen auch auf die Erkenntnisse aus den Urteilen „Digital Rights Ireland“ und „Schrems“. Nach seiner Ansicht ist der in diesen Urteilen vorgezeichnete Weg fortzuführen und das geplante Abkommen einer strikten Kontrolle im Hinblick auf die Achtung des Privat- und Familienlebens und das Recht auf Schutz personenbezogener Daten zu unterziehen. Der EuGH müsse sicherstellen, dass die beabsichtigten Maßnahmen eine ausgewogene Gewichtung zwischen der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und dem Schutz des Privatlebens widerspiegeln.

Der Österreicher Max Schrems hatte sich im Oktober 2015 mit seiner Klage gegen Facebook durchgesetzt. Der EuGH erklärte die bis damals geltende Safe-Harbor-Regelung zum Transfer von Daten europäischer Bürger in die USA für hinfällig. Private Daten von EU-Bürgern seien in den USA nicht ausreichend vor dem Zugriff von Behörden und Geheimdiensten geschützt, begründeten die Richter damals ihr Urteil.

„Komplexe Überwachungsmethoden“

In einer Zeit, in der Behörden im Namen der Bekämpfung von Extremismus „äußerst komplexe Methoden” zur Überwachung des Privatlebens der Bürger und zur Analyse ihrer personenbezogenen Daten entwickeln, müsse der EuGH eine „ausgewogene Gewichtung” zwischen öffentlichen Sicherheitsinteressen und dem Schutz des Privatlebens der Bürger gewährleisten, schrieb Mengozzi. Folgt der EuGH in seinem in einigen Monaten erwarteten Urteil der Auffassung des Generalanwalts, kann das Abkommen nur dann in Kraft treten, wenn es in den kritisierten Punkten geändert wird.

Die Grünen im Europaparlament sehen sich durch die Aussagen des Generalanwalts in ihrer Kritik auch am Fluggastdaten-Abkommen mit den USA bestätigt. Der Datenschutzexperte der grünen Fraktion, Jan Philipp Albrecht, betont, dass die Kommission „nun endlich eine Kehrtwende weg von der anlasslosen Speicherung machen und stattdessen auf verdachts- und risikobasierte grenzübergreifende Sicherheits- und Ermittlungsmaßnahmen setzen“ müsse. (APA, red.)

VERSTOSS GEGEN GRUNDRECHTE

Das Abkommen über die Übermittlung und Verarbeitung von Fluggastdatensätzen (Passenger Name Records – PNR) zwischen der EU und Kanada sollte den kanadischen Behörden ermöglichen, Terrorismus und Kriminalität zu bekämpfen. Das Abkommen wurde 2014 unterzeichnet und dem Parlament vorgelegt. Dieses beschloss, den EuGH mit der Frage zu befassen, ob es mit Unionsrecht vereinbar ist. Generalanwalt Paolo Mengozzi hat jetzt in seinen Schlussanträgen darauf hingewiesen, dass die Weitergabe von Fluggastdaten gegen Grundrechte verstoße und das Ankommen in seiner jetzigen Form nicht abgeschlossen werden könne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2016)

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