EU und Türkei streiten sich um gebildete syrische Flüchtlinge

Das Vorgeben sei absolut inakzeptabel, sagt Schulz..
Das Vorgeben sei absolut inakzeptabel, sagt Schulz..APA/AFP/BULENT KILIC
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Ankara wolle nur hilfsbedürftige Syrer ziehen lassen, kritisiert Parlamentspräsident Schulz. Die Türkei soll mehr als 1000 Menschen die Ausreise verboten haben.

Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, hat die Ausreiseverbote für gebildete syrische Flüchtlinge in der Türkei scharf kritisiert. Dies sei "ein absolut nicht akzeptables Vorgehen", sagte Schulz am Donnerstag in Berlin. Laut Medienberichten hat die Türkei mehr als 1000 Syrer, deren Anträge auf Umsiedlung in die USA oder andere Staaten akzeptiert worden waren, an der Ausreise gehindert.

Begründet wurde dies den Angaben zufolge damit, dass die besonders Hilfsbedürftigen bei der Umsiedlung bevorzugt werden sollten. Schulz kritisierte die "einseitigen Entscheidungen der türkischen Regierung".

Im Mai hatte die Türkei dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gegenüber offiziell erklärt, dass syrische Akademiker nicht mehr ausreisen dürften: Die Türkei habe im Flüchtlingsabkommen mit der EU durchgesetzt, dass sie eine Auswahl treffen dürfe, welche Syrer ausreisen dürften, berichtete der "Spiegel" damals. Normalerweise entscheidet dagegen das UNHCR, wer für ein Umsiedlungsprogramm in Frage kommt.

Auch Syrer mit Visum dürfen nicht ausreisen

Im Rahmen des EU-Flüchtlingspaktes nimmt die Türkei alle neu ankommenden Flüchtlinge von den griechischen Ägäis-Inseln zurück. Die EU nimmt dann für jeden Syrer unter den Rückkehrern einen Syrer auf, der schon in der Türkei ist. Über diesen sogenannten 1:1-Mechanismus will die EU insgesamt bis zu 72.000 Syrer aufnehmen. Ankara muss den ausreisenden Syrern ein Exit-Visum ausstellen, damit die Flüchtlinge in das Land ausreisen können, das sie aufnehmen will. An diesem Schritt aber lässt die Türkei keine Akademiker mehr ausreisen.

Bereits im Frühjahr wiesen mehrere Vertreter europäischer Regierungen auf das Problem hin, berichtete der "Spiegel": Ankara schicke auffällig viele Härtefälle, Menschen mit medizinischen Problemen oder sehr niedriger Bildung in EU-Länder weiter; Ingenieure, Ärzte oder Facharbeiter hingegen ließe die türkische Regierung nicht mehr ausreisen.

Teilweise verwehrte die Türkei auch Syrern, die bereits ein Visum hatten, die Weiterreise in EU-Staaten wie Deutschland - oft ohne Gründe anzugeben. Derzeit halten sich in der Türkei rund 2,7 Millionen Syrer auf, die vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat geflüchtet sind. Viele Türken sehen in den Ankömmlingen aus Syrien mittlerweile Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt.

Juncker kommt Kritikern in Osteuropa entgegen

Noch andere Herausforderungen aber machen Brüssel zu schaffen. Schulz sagte am Donnerstag, die Lage der Europäischen Union sei auch nach dem Bratislava-Gipfel schwierig. Es gebe immer noch "eine Reihe von ungelösten Problemen". Dazu gehöre auch die bisher nicht funktionierende Verteilung von Flüchtlingen in Europa. Er begrüßte, dass einige Staaten, die sich zunächst ganz gegen die Aufnahme von Flüchtlingen gesperrt hatten, jetzt etwas Bewegung zeigten. Dass sie zum Beispiel einige Flüchtlinge aufnehmen könnten, unter dem Vorbehalt "auswählen zu können, wen man nimmt", sei zwar nicht zufriedenstellend, aber "im Vergleich zur bisherigen Haltung ist das ein Fortschritt".

Auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker signalisierte Kritikern der EU-Flüchtlingsverteilung am Donnerstag Verständnis. "Solidarität muss freiwillig sein. Manche tragen mit der Aufnahme von Flüchtlingen bei, andere durch Grenzmanagement", sagte er am Donnerstag in Brüssel.

Nach Angaben der EU-Kommission bezieht sich dies nicht auf den verpflichtenden Beschluss zur Flüchtlingsumverteilung, sondern auf künftige Politik. Die EU-Staaten hatten am 22. September 2015 gegen den Widerstand Ungarns, Rumäniens, Tschechiens und der Slowakei die Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen aus den überlasteten Mittelmeerländern Griechenland und Italien beschlossen. Bereits zuvor hatten sie sich ohne Streit auf die freiwillige Umverteilung weiterer 40.000 Flüchtlinge geeinigt. Seither kamen aber nur rund 5300 Menschen nach Angaben der EU-Kommission woanders unter.

Juncker griff damit nun Forderungen aus östlichen EU-Staaten auf. Ungarn und die Slowakei hatten bereits beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die Umverteilungsentscheidung geklagt. Die Slowakei will sich hingegen möglichst schnell finanziell und mit Polizisten an der neuen europäischen Grenz- und Küstenwache beteiligen. "Das ist unsere Solidarität in der Krise", sagte Regierungschef Robert Fico unlängst.

>>> Bericht im "Spiegel".

>>> Bericht in der "FAZ".

(APA/dpa)

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