London: Brexit wird so turbulent wie Achterbahnfahrt

Premierministerin May kündigte erstmals einen Plan für einen Austritt an.
Premierministerin May kündigte erstmals einen Plan für einen Austritt an.APA/AFP/PAUL ELLIS
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Finanzminister Hammond warnt die Briten: Der EU-Austritt werde kompliziert werden. Brüssel bleibt hart. Es werde seine Interessen verteidigen, sagt der Ratspräsident.

Die britische Regierung stellt ihre Bürger auf einen turbulenten und komplexen EU-Austrittsprozess ein. Finanzminister Philip Hammond sagte am Montag, der Prozess werde einer "Achterbahn" gleichen. Premierministerin Theresa May hatte am Vortag angekündigt, dass London spätestens im März 2017 den EU-Austritt beantragen werde. Das Pfund fiel danach auf seinen tiefsten Stand seit August 2013.

"Wir müssen einige Turbulenzen erwarten während dieses Verhandlungsprozesses", sagte Hammond der BBC. Es werde "einige Jahre lang" Unsicherheit bezüglich des endgültigen Verhältnisses zwischen Großbritannien und der EU geben. "Während dieses Zeitraums müssen wir die Wirtschaft unterstützen", kündigte Hammond höhere Infrastrukturinvestitionen und Zurückhaltung bei Ausgabenkürzungen an, weswegen das Budgetdefizit langsamer reduziert werde.

Der Brexit-Prozess werde "kompliziert" werden und "akribischer Planung und stählerner Entschlossenheit" bedürfen, betonte Hammond in einer Rede am Montag. Zugleich ließ er keinen Zweifel daran, dass die britische Regierung die Europäische Union verlassen werde. "Es gibt keine Wenns, keine Abers, keine zweiten Referenden", sagte der frühere Außenminister. "Wir verlassen die EU."

Gemeinsamer Binnenmarkt weiter strittig

London wünsche sich weiteren Zugang zum EU-Binnenmarkt ohne Zölle und Quoten, sagte Hammond. Es solle eine "Beziehung auf Gegenseitigkeit" sein. "Nicht sicher" ist sich Hammond, ob Großbritannien den Zugang zum Binnenmarkt wirklich verlieren werde, wenn es Migrationskontrollen einführen werde. "Niemand" wolle, dass britische Touristen bei Reisen in die EU Visa bräuchten.

Die EU-Staaten machen die Teilnahme Großbritanniens am Binnenmarkt bisher von der Personenfreizügigkeit für ihre Bürger abhängig. Für London ist dies jedoch ein rotes Tuch. Der Wunsch, den Zuzug insbesondere für EU-Bürger aus Mittel- und Osteuropa zu beschränken, war nach Analysen ein wichtiges Motiv beim Brexit-Referendum.

Premierministerin May hatte am Sonntag beim Parteitag der britischen Konservativen erstmals einen Plan für die Austrittsverhandlungen dargelegt. "Wir werden Artikel 50 nicht später als Ende März nächsten Jahres auslösen", sagte May. Der Artikel 50 des Vertrags von Lissabon regelt den Austritt eines EU-Landes. May kündigte auch ein "Großes Abschaffungsgesetz" an, um EU-Recht in Bausch und Bogen aufzuheben. Zugleich bekräftigte die Ex-Innenministerin die Entschlossenheit, den Zuzug von EU-Bürgern zu begrenzen. "Wir verlassen die EU nicht, um noch einmal die Kontrolle über die Einwanderung abzugeben", sagte sie. Nach Mays Äußerungen fiel das Pfund Sterling am Montag zeitweilig auf 87,46 Pence pro Euro, das niedrigste Niveau seit August 2013.

EU: Keine Verhandlungen vor Austritt

EU-Ratspräsident Donald Tusk begrüßte die Ankündigung zwar, machte aber ungewöhnlich deutlich, dass auch die EU ihre Interessen verteidigen werde. "Die Erklärung von Premierministerin May bringt willkommene Klarheit über den Start der Brexit-Verhandlungen" twitterte Tusk und fügte hinzu: "Sobald Artikel 50 ausgelöst ist, wird die EU der 27 tätig werden, um ihre Interessen zu schützen."

Die EU-Kommission bekräftigte am Montag, dass es vor der Notifizierung des Austritts keine Verhandlungen geben werde. May und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker würden beim EU-Gipfel im Oktober "miteinander reden, ohne zu verhandeln", sagte ein Sprecher der Brüsseler Behörde. Deren Brexit-Chefverhandler Michel Barnier werde in den nächsten Wochen innerhalb der EU-Institutionen und mit Reisen durch die EU-Hauptstädte die Position der EU ausloten.

Innenpolitischer Gegenwind für May

May muss sich unterdessen auch auf scharfen innenpolitischen Gegenwind für ihre Brexit-Pläne einstellen. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon warf May vor, "alles zu tun", damit in den Austrittsverhandlungen die schottischen Interessen nicht zählen. "Seltsamer Ansatz für jemanden, der Großbritannien zusammen halten will", twitterte Sturgeon. Sie will notfalls ein neues schottisches Unabhängigkeitsreferendum einleiten.

Nach dem Austrittsantrag beginnt eine zweijährige Frist zu laufen, innerhalb derer sich die EU und Großbritannien auf ihre künftige Beziehung einigen müssen. Die Frist kann von den EU-Staaten verlängert werden. Läuft sie ohne Einigung aus, verliert Großbritannien alle durch die EU-Mitgliedschaft erworbene Rechte und Pflichten. Die heiße Phase der Austrittsverhandlungen könnte in die österreichische EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 fallen.

(APA/Reuters/dpa/AFP)

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