Nächste Europawahl findet bereits ohne die Briten statt

02 10 2016 Birmingham United Kingdom Conservative Party Conference Day One The Prime Ministe
02 10 2016 Birmingham United Kingdom Conservative Party Conference Day One The Prime Ministe(c) imago/i Images (imago stock&people)
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Hält der Zeitplan von Theresa May, wird Großbritannien noch vor der Europawahl 2019 aus der Europäischen Union ausgetreten sein. Schwierig dürften sich die Verhandlungen über das EU-Budget für die Zeit danach gestalten.

Brüssel. „Brexit heißt Brexit“ – diese Tautologie der britischen Premierministerin Theresa May wartet immer noch auf ihre Auflösung. Doch zumindest was den Zeitplan für den EU-Austritt Großbritanniens anbelangt, herrscht seit Mays Rede bei der Parteiversammlung der Tories am Wochenende ein Mindestmaß an Klarheit. Spätestens bis Ende März 2017 will die britische Regierungschefin May ihren europäischen Noch-Partnern den Austrittswunsch des Vereinigten Königreichs unterbreiten. Die offizielle Notifikation ist notwendig, um den Artikel 50 des EU-Vertrags zu aktivieren, der das Ausscheiden eines Mitgliedstaats aus der Union regelt. Und sie ist zugleich der Start eines zweijährigen Countdowns, denn gemäß Artikel 50 muss das Scheidungsverfahren innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen sein. Gelingt dies nicht, wird der Austritt trotzdem vollzogen. Soll heißen: Wie auch immer die Verhandlungen zwischen London und Brüssel ausgehen – spätestens am 1. April 2019 ist Großbritannien kein EU-Mitglied mehr.

Aus der Perspektive der Europäer hat Mays Festlegung auf den Verhandlungsbeginn bereits im kommenden Frühjahr mehrere Vorteile. Vorteil Nummer eins betrifft das Europaparlament, das alle fünf Jahre neu gewählt wird. Nachdem die letzte Europawahl im Frühjahr 2014 stattgefunden hat, ist der nächste planmäßige Wahltermin das Frühjahr 2019. Hätte May mit ihrem Austrittsgesuch länger zugewartet – etwa bis nach der deutschen Bundestagswahl, die im Herbst 2017 stattfinden soll –, hätte das Hohe Haus der EU ein handfestes Problem, weil die Briten als Noch-Mitglieder bei der Europawahl mitmachen müssten. Sofern May ihren Zeitplan nicht nochmal umwirft, findet die nächste Europawahl bereits ohne Beteiligung der Briten statt.

Zwei heiße Phasen

Keine Entwarnung gibt es allerdings an einer anderen wichtigen Front: bei der Festlegung des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens der EU. Derzeit verwaltet die Union ihre Einnahmen und Ausgaben gemäß dem zu Jahresbeginn 2013 fixierten Siebenjahresplan 2014–2020. Die Verhandlungen über das Unionsbudget sind traditionellerweise eine Tortur, weil der Budgetbeschluss im Rat der Mitgliedstaaten einstimmig gefällt werden muss. Die heiße Phase der Verhandlungen über den nächsten Finanzrahmen wird somit aller Voraussicht nach mit der heißen Phase der Brexit-Verhandlungen zusammenfallen – was den Briten Möglichkeiten zur Druckausübung bieten könnte. Die bisherige Position der EU gegenüber Drittstaaten ist eindeutig: Wer Zugang zum europäischen Binnenmarkt haben will, muss auch ins EU-Budget einzahlen. Großbritannien war diesbezüglich stets besonders unwillig: Bei den Verhandlungen über den Finanzrahmen 2014–2020 rühmte sich der damalige Premier, David Cameron, damit, das europäische „Kreditkartenlimit beschnitten“ zu haben.

Immerhin hat Premierministerin May mit ihrer Ankündigung eine Furcht der Europäer ausgeräumt. Das Horrorszenario in Brüssel lautete nämlich folgendermaßen: London zögert die Aktivierung des Artikels 50 bis zum Sankt Nimmerleinstag hinaus, droht mit der Blockade der Entscheidungsprozesse im Rat und presst auf diese Weise den restlichen 27 Mitgliedstaaten weitreichende Zugeständnisse ab. Nun hat die EU einen Vorteil bei den Verhandlungen, denn die Tatsache, dass ohne eine gütliche Einigung die Briten automatisch vom Kontinent abgeschnitten werden, spielt den Brüsseler Verhandlern in die Hände.

Der Verhandlungspartner der Briten in der EU-Kommission ist der ehemalige französische Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Wie ein Sprecher der Brüsseler Behörde am gestrigen Montag bestätigte, hat Barnier, der seit Ende vergangener Woche im Amt ist, mit den Vorbereitungen begonnen. Für die kommenden Monate geplant sind demnach Gespräche mit dem Europaparlament, das beim britischen Austrittsvertrag Mitspracherecht hat, sowie eine Rundreise durch die Hauptstädte der Union. Offizielle Verhandlungen vor der Aktivierung des Artikels 50 sind nach wie vor nicht vorgesehen – wobei es beim kommenden EU-Gipfel in der zweiten Oktoberhälfte ein Treffen zwischen May und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geben wird, bei dem allerdings nur informell gesprochen, aber nicht verhandelt werden soll. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2016)

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