SPÖ studiert Beipackzettel für Ceta

BK KERN IN STASSBURG: KERN / SCHULZ
BK KERN IN STASSBURG: KERN / SCHULZ(c) APA/BKA/ANDY WENZEL
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Die Aufmerksamkeit der Sozialdemokraten gilt möglichen unerwünschten Nebenwirkungen für Österreichs Souveränität. An der Substanz des Handelspakts hat sich indes gar nichts geändert.

Brüssel/Wien. Nüchtern analysieren, auf Zeit spielen, das SPÖ-Präsidium mit der Angelegenheit befassen – so lautet die Devise im Bundeskanzleramt im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta), das eigentlich beim Gipfeltreffen Ende Oktober feierlich aus der Taufe gehoben werden sollte. Ob es denn tatsächlich dazu kommt, ist noch nicht klar, denn Bundeskanzler Christian Kern hat seine Zustimmung vom Inhalt einer Zusatzerklärung zum Handelspakt gemacht, die alle österreichischen Bedenken hinsichtlich etwaiger Souveränitätsverluste zerstreuen soll.

Dem Vernehmen nach soll das Parteipräsidium der Sozialdemokraten Ende kommender Woche über die seit Mittwochabend vorliegende Erklärung beraten. Ob Kern und seine Parteikollegen wirklich eine Woche Zeit benötigen, um einen Entschluss zu fällen, ist allerdings fraglich, denn bei dem Dokument handelt es sich nicht um ein dicht beschriebenes, mit Paragrafen gespicktes Konvolut, sondern um einen vierseitigen Beipackzettel zu Ceta, der der „Presse“ vorliegt. Nach Vorstellungen des EU-Kommissionspräsidenten, Jean-Claude Juncker, soll er möglichst bald im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden und somit Rechtsgültigkeit erlangen.

Zwar hieß es am gestrigen Donnerstag aus dem Bundeskanzleramt, dass man das Dokument im Zusammenspiel mit dem eigentlichen Vertragstext betrachten müsse, denn im Ceta-Abkommen selbst sei vieles unklar formuliert. Aus dieser Perspektive betrachtet, kann eine Spektralanalyse allerdings mehr zur Beruhigung der Nerven als zur inhaltlichen Klärung beitragen. Neue Erkenntnisse sind nicht zu erwarten – an der Substanz des Handelsabkommens hat sich nämlich rein gar nichts geändert.

Wie in der Präambel festgehalten wird, handelt es sich bei dem Dokument um eine „interpretative Deklaration“ – also lediglich um Erläuterungen zum besseren Verständnis von Ceta. Hervorgehoben wurden insgesamt elf Punkte, die nach Ansicht der Beteiligten besonders kontrovers waren. So wird beispielsweise beim Punkt „Wasser“ erklärt, dass kein Mitgliedstaat gegen seinen Willen zur Privatisierung der Wasserversorgung gezwungen ist und auch früher getroffene Privatisierungsbeschlüsse rückgängig machen darf. Punkto „Regulatorische Zusammenarbeit“ heißt es, dass diese auf freiwilliger Basis erfolgen wird und kein EU-Mitglied dazu verpflichtet ist, etwaige Beschlüsse umzusetzen. Auch die Hoheit der Mitgliedstaaten bei Sozialgesetzgebung, öffentlicher Daseinsvorsorge, Bildung, Umwelt, Gesundheit etc. bleibt unangetastet. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge können Europäer wie Kanadier weiterhin Umwelt- und Sozialkriterien geltend machen – sofern diese Vorgaben nicht diskriminierend sind.

Schutz für Ureinwohner

Was aus österreichischer Perspektive weniger erfreulich sein dürfte: Auch bei den umstrittenen Schiedsgerichten für ausländische Investoren ändert sich nichts: Die Schutzklauseln treten erst in Kraft, sobald alle 28 EU-Mitglieder grünes Licht gegeben haben. Explizit festgehalten wurde im Ceta-Beipackzettel unter anderem, dass Unternehmen einen „echten“ wirtschaftlichen Konnex mit Kanada haben müssen, um in den Genuss des Investorenschutzes zu kommen – Konzerne, die über den Umweg einer kanadischen Briefkastenfirma die EU vor den Kadi zerren wollen, bleiben somit draußen.

Die vermutlich einzige Detailfrage, die den Experten im Bundeskanzleramt nicht hinreichend bekannt sein dürfte, ist im elften und letzten Punkt abgehandelt: das Recht der Regierung in Ottawa, Kanadas Ureinwohner bevorzugt zu behandeln.

Während die Reaktionen auf die Zusatzerklärung in Österreich gemischt ausfielen (siehe unten), legte sich in Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel für das Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) ins Zeug: „Bei gutem politischen Willen könnte man ziemlich viel erreichen“, sagte sie am Donnerstag am Tag der deutschen Industrie. Auch die deutsche Bundesregierung hat Ceta noch nicht durchgewunken. In Berlin wollte man ebenfalls die Veröffentlichung der Klarstellung abwarten.

Reaktionen

VP hofft auf grünes Licht

Erwartungsgemäß begrüßte der Koalitionspartner ÖVP die Ceta-Zusatzerklärung. Es sei nun an der Zeit, dass die SPÖ und Österreich grünes Licht für das Abkommen geben. Jetzt sollten alle Punkte ausgeräumt sein, die den Koalitionspartner noch verunsichert hätten. Für Parteichef Mitterlehner sind nunmehr die Ängste der Bevölkerung ausgeräumt.

WKÖ und IV: Klares Ja

Wirtschaftskammer-Vizepräsident Jürgen Roth erwartet sich nunmehr „ein klares Ja“ von Österreich. Mit der gemeinsamen Erklärung sei Ceta „mehr als unterschriftswürdig“. Auch laut Industriellenvereinigung (IV) sollten jetzt eigentlich alle Befürchtungen vom Tisch sein.

Ceta-Gegner: Striktes Nein

Die Zusatzerklärung könne die zahlreichen Kritikpunkte nicht entschärfen, so der Tenor der Ceta-Gegner Greenpeace Österreich, Attac Österreich und Global 2000. Die Erklärung sei „substanzlos und eine reine Interpretationshilfe“, ohne an der Problematik und Wirksamkeit des Abkommens etwas zu ändern. Die Erklärung sei ein Affront gegenüber allen Menschen, die berechtigte Bedenken gegen Ceta hätten.

Grüne: Sand in die Augen

Das europäisch-kanadische Dokument zeige keine wirklichen Klarstellungen und schon gar keine Verbesserungen, sagen die Grünen. Vielmehr handle es sich nur um Beschwichtigungsprosa; den Bürgern würde damit Sand in die Augen gestreut.

FPÖ: Hintertür für TTIP

Für die FPÖ ändere die Zusatzerklärung nichts am Ceta-Vertragstext. Die SPÖ sei „im Stehen umgefallen“. Ceta stelle eine Hintertür für TTIP dar, betonte Präsidentschaftskandidat Hofer, der erneut eine Bürgerbefragung forderte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2016)

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