Schengen: Druck zur Öffnung der Grenzen steigt

GRENZKONTROLLEN BEI NICKELSDORF IM BURGENLAND
GRENZKONTROLLEN BEI NICKELSDORF IM BURGENLAND(c) APA/ROBERT JAEGER
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Die EU-Kommission bewertet Anfang November die Voraussetzungen für eine Verlängerung der österreichischen Grenzkontrollen um sechs Monate. Die Rufe nach einer Rückkehr zur freien Durchreise werden lauter.

Brüssel/Wien. Geht es nach dem Willen der EU-Kommission, so sollten die Grenzkontrollen am Walserberg zwischen Deutschland und Österreich, aber auch jene zwischen Österreich und Slowenien sowie zwischen Österreich und Ungarn rasch wieder aufgehoben werden. Der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos, so hieß es am Mittwoch auf Anfrage der „Presse“, sei nach wie vor für eine völlige Rückkehr zum Schengen-System der offenen Grenzen – und das „so bald wie möglich“. Allerdings wird in Brüssel nicht ausgeschlossen, dass es noch einmal für weitere sechs Monate zu einer Verlängerung kommt. Denn bei einer letzten Überprüfung im September ist festgestellt worden, dass die Maßnahmen derzeit noch „notwendig und angemessen“ seien.

Österreich, Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen haben in einem Brief an die Kommission ihre Argumente für eine Ausnahme vom Schengen-System für weitere sechs Monate übermittelt. Denn im November läuft für sie die derzeitige Frist aus. Die EU-Kommission prüft nun, ob die Voraussetzungen für eine Verlängerung gegeben sind. Während Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) kürzlich am Rande eines EU-Innenministertreffens auf die Notwendigkeit weiterer Einreiseüberprüfungen wegen Zehntausender in Griechenland festsitzender Migranten und weiterer potenzieller Migranten in den Balkanstaaten verwiesen hat, wird in Brüssel registriert, dass der Druck an Österreichs Grenzen im vergangenen Jahr deutlich abgenommen hat.

Der Schengen-Vertrag sieht nur bei einer „schwerwiegende Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit“ die Wiedereinführung von Grenzkontrollen vor. Die sechsmonatige Frist kann zudem lediglich dreimal verlängert werden. Nach maximal zwei Jahren muss laut dem Vertrag sowieso eine Rückkehr zu offenen Grenzen erfolgen.

Österreich führt an den Grenzen zu Slowenien und Ungarn seit 16. September 2015 wieder Personenkontrollen durch. Auf dem Brenner wurde dies zwar vorbereitet, aber nie beantragt. Während zuletzt immer wieder Zuwanderer ohne notwendige Papiere versucht haben, über Ungarn einzureisen, sind es über Slowenien zuletzt nur noch Einzelfälle gewesen. Auch die Laibacher Regierung hat deshalb bereits eine baldige Öffnung angeregt.

Risiko in Griechenland bleibt

Sowohl die deutsche als auch die österreichische Regierung argumentieren, dass Grenzkontrollen so lange aufrechterhalten bleiben müssten, bis die Außengrenzen des Schengen-Raums effizient kontrolliert würden. Im Fall von Griechenland sei dies nach wie vor nicht gewährleistet. Mittlerweile sitzen dort 60.000 Menschen fest. Sollte die Regierung in Athen wegen der Überlastung der Lager auf den griechischen Inseln die Weiterreise auf das Festland erlauben, würden viele der Migranten versuchen, weiter in den Norden zu gelangen. Zuletzt hat bereits das Schlepperwesen wieder zugenommen.

Die Entscheidung über weitere Grenzkontrollen fällt nicht die EU-Kommission, sondern der Rat der Innenminister. Dort ist die Stimmung gespalten. Diplomaten berichteten zuletzt, dass einige EU-Regierungen die Kommission auf eine rasche Rückkehr zu offenen Grenzen drängten. Angeblich will eines der Visegrád-Länder dies bereits beim kommenden EU-Gipfel zur Diskussion stellen. Andererseits gibt es auch Sympathien für die Verlängerung. Ihr dürfte auch Paris zustimmen. Denn Frankreich hat – als Gegenmaßnahme gegen den Terrorismus – selbst seit Ende letzten Jahres die Grenzübergänge wieder mit Sicherheitskräften besetzt. Die französische Regierung will diese Maßnahme zumindest bis zum 26. Jänner weiterführen.

Österreich wird sich über kurz oder lang dennoch mit Alternativen auseinandersetzen müssen. Eine weitere Verlängerung ab Mai 2017 dürfte nicht mehr akzeptiert werden. Als mögliche Alternative könnte Österreich wieder verstärkte Kontrollen im grenznahen Bereich (Schleierfahndung) durchführen. Auch stichprobenartige Einreiseüberprüfungen auf Bahnhöfen wären möglich.

Sollte sich eine neue Fluchtwelle entwickeln, wären die österreichischen Grenzen anders als noch vor zwei Jahren für eine rasche Wiedereinführung von Kontrollen vorbereitet. Jederzeit könnte die Bundesregierung erneut eine vorübergehende Ausnahme vom Schengen-System beantragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2016)

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