Ceta: Kanada versteht Europa nicht mehr

Am Donnerstag gaben die Regionen in Belgien rasch nach.
Am Donnerstag gaben die Regionen in Belgien rasch nach.REUTERS
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Premier Trudeau nahm die Ceta-Einigung in Belgien ungewöhnlich stumm zur Kenntnis. Der Vertrag soll laut EU am Samstag unterschriftsreif sein.

Wallonie? Von der belgischen Provinz, die das Handelsabkommen Ceta fast zum Platzen brachte, hatten viele Kanadier zuvor noch nie etwas gehört. Die Zustimmung zu Ceta in Kanada ist groß - das europäische Gerangel wird mit Frust und Erstaunen beobachtet.

Eigentlich war der Termin lange ausgemacht gewesen. Am Donnerstag wollte Kanadas Premierminister Justin Trudeau nach Brüssel reisen, um feierlich das europäisch-kanadische Handelspaket Ceta zu unterzeichnen. Aber nachdem es trotz jahrelanger Verhandlungen und tagelangem zähen Ringen kurz vor Schluss auf europäischer Seite noch immer keine Einigung gab, ging Trudeau die Geduld aus. Anstatt in den Flieger zu steigen, ließ er die Unterzeichnungszeremonie vorerst absagen und auf unbestimmte Zeit verschieben.

Mit Überraschung, Schock und fast schon sprachloser Verblüffung hat Kanada auf das europäische Gerangel und die Blockade der Wallonie in letzter Minute reagiert. "Handelsexperten, Wirtschaftsforscher, Unternehmensberater, Regierungsmitarbeiter - sie alle haben in den vergangenen Tagen die Hände in die Höhe geworfen und gefragt: "Wallonie"?", schrieb das Magazin "MacLean's". Der Name der Region klinge "lustig" und sei höchstens Fans europäischer Art-House-Filme wie "Das Versprechen" ein Begriff.

"Kanada hat seine Arbeit geleistet"

Nach jahrelangen Verhandlungen hatten Kanadas Politiker die Unterzeichnung des Abkommens als ausgemachte Sache angesehen, die Blockade erwischte sie kalt. Handelsministerin Chrystia Freeland, die durch ganz Europa gereist war, um für das Abkommen zu kämpfen, weinte in Brüssel vor Enttäuschung. "Es scheint offensichtlich, für mich und für Kanada, dass die Europäische Union derzeit nicht in der Lage ist, ein internationales Abkommen abzuschließen, selbst mit einem Land, das so europäische Werte hat wie Kanada, und selbst mit einem Land, das so freundlich ist und so viel Geduld hat wie Kanada."

Auf die belgische Einigung am Donnerstag, die eine Unterzeichnung des Abkommens nun doch möglich macht, reagierte sie über ihren Sprecher betont reserviert. "Dies ist eine positive Entwicklung, aber es ist noch Arbeit zu leisten. Bevor unterschrieben werden kann, müssen noch weitere Schritte unternommen werden. Kanada hat seine Arbeit geleistet. Kanada bleibt bereit, diese wichtige Vereinbarung zu unterschreiben, wenn Europa bereit ist."

Premierminister Trudeau blieb - wie schon in den vergangenen Tagen - ungewöhnlich stumm. "Wir sind zuversichtlich, dass wir in den kommenden Tagen ein positives Ergebnis für diesen historischen Vertrag sehen werden", sagte er dem Parlament am Mittwoch knapp. Ansonsten kein Wort zu seinen mehr als zwei Millionen Twitter-Fans, die Brüssel-Reise ließ er über einen Sprecher absagen und sonst ließ er seiner Ministerin Chrystia Freeland und deren Sprechern den Vortritt.

Mögliche Unterzeichnung noch im November

Trudeau hat den Vertrag stets unterstützt. Die ursprüngliche Unterzeichnungszeremonie hätte nur kurz nach dem ersten Jahrestag seiner Wahl stattfinden sollen und war als weiterer Erfolg in der bisher weitgehend makellosen Bilanz seiner ersten Regierungsmonate geplant gewesen. Ein Platzen des Vertrags wäre für Trudeau die erste große Pleite.

Das Thema ist in Kanada allerdings weit weniger schlagzeilenträchtig als in Europa. Die Medien behandeln es zweitrangig. Umfragen zufolge unterstützen rund zwei Drittel der Kanadier das Abkommen. Aber auch in Kanada gibt es Ceta-Gegner - so wie Maude Barlow von der linksgerichteten Aktivistengruppe Council of Canadians. Sie nannte den Widerstand der Wallonie einen "großen Sieg".

Nach dem tagelangen Ceta-Drama in Belgien soll auf europäischer Ebene nun jedenfalls alles ganz schnell gehen. Die 28 Mitgliedstaaten der EU sind aufgerufen, bis Freitag um 24.00 Uhr die für das Freihandelsabkommen noch notwendigen Beschlüsse zu erlassen. "Politico" berichtete am Freitag, dass - die Zustimmung der belgischen Regionalparlamente sowie aller EU-Staaten durch ihre Botschafter - der Außenministerrat am 11. November die Unterschriften leisten könnte.

Juncker zieht aus Eiertanz seine Lehren

Damit würde die "Party mit Justin Trudeau" um den EU-Gipfel im Dezember stattfinden können. Bei der Sitzung des wallonischen Regionalparlaments am heutigen Freitag wird sich zeigen, ob das Kalkül des Ministerpräsidenten dieser belgischen Region, Paul Magnette, aufgeht und ihm seine Abgeordneten folgen

Für künftige EU-Verhandlungen im Handelsbereich mit anderen Drittstaaten könnte die Europäische Union angesichts des Eiertanzes um CETA die Lehren ziehen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der von einer "Verzwickungssituation" der vergangenen Tage sprach, meinte, "wir werden uns in Zukunft überlegen müssen, wenn wir derartige Verhandlungen führen und Verträge abschließen, dass wir ab Tag eins fein säuberlich trennen, was in europäische Zuständigkeit fällt und was nationalen Regierungen und nationalen Parlamenten überlassen sein muss". Dies könnte auf zwei getrennte Verhandlungsmandate hinauslaufen.

(APA/dpa)

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