„Größte Gefahr für EU ist die Zersplitterung“

Lubomír Zaorálek
Lubomír Zaorálek(c) APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK
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Tschechiens Außenminister Zaorálek erteilt Norbert Hofers Wunsch, der Visegrád-Gruppe beizutreten, eine Absage und warnt vor einem Zerfall der Union, wenn die Rechtspopulistin Marine Le Pen in Frankreich die Wahl gewinnt.

Die Presse: Norbert Hofer will Österreich in die Visegrád-Gruppe führen. Halten Sie eine Aufnahme für realistisch?

Lubomír Zaorálek: Die Visegrád-4 (Tschechien, Ungarn, Polen, Slowakei) wollen die Kooperation mit Österreich ausbauen. Aber ich sehe langfristig keine Perspektive für eine Erweiterung der Visegrád-Gruppe. Es ist schon oft nicht einfach, bei vier Mitgliedern Übereinstimmung zu finden.

Da war Ihr Staatspräsident, Miloš Zeman, offenbar voreilig, als er Österreich den Beitritt zur Visegrád-Gruppe anbot.

Ich interpretiere das so: Präsident Zeman und auch ich betrachten Österreich als sehr wichtigen Partner, mit dem wir die Zusammenarbeit weiterentwickeln wollen.

Welche Symbolwirkung hätte es für Europa, wenn ein Rechtspopulist wie Hofer österreichischer Bundespräsident wird?

Als Sozialdemokrat halte ich es für problematisch, wenn sich Rechtsparteien immer stärker radikalisieren. Ich befürchte, dass wir dann immer mehr auseinanderdriften in Europa, weil sich die Mitgliedstaaten der EU nur noch auf die Durchsetzung ihrer nationalen Einzelinteressen konzentrieren.

Befürchten Sie einen Zerfall der Union, der sich bei einem Sieg von Marine Le Pen bei der französischen Präsidentenwahl 2017 noch beschleunigen könnte?

Ich befürchte das schon. Die größte Gefahr für die EU ist die Zersplitterung. Unser Präsident Tomáš Garrigue Masaryk (1918 bis 1935 im Amt, Anm.) hat schon in der Zwischenkriegszeit davor gewarnt, dass sich verschiedene Pole in Europa herausbilden. Und Masaryk sagte noch etwas, was bis heute gilt: Wenn sich Großmächte gegeneinander positionieren, hat das noch immer zu einem Krieg geführt. Deswegen halte ich die EU und die Nato für so wichtig – wie alle Kräfte, die gegen diese Fragmentierung und Polarisierung wirken. Wenn jemand wie Marine Le Pen die Wahl gewinnen sollte, kann ich mir eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich nur schwer vorstellen.

Verleiht der Wahlsieg von Donald Trump in den USA den Rechtspopulisten noch zusätzlichen Auftrieb?

Wir haben noch sehr nebelhafte Vorstellungen, wie Trump seine Präsidentschaft anlegen wird. Derzeit halte ich die Unberechenbarkeit für das größte Problem der Welt. Man weiß nicht, wie es weitergeht. Das kann ins Chaos führen. Ähnlich verhält es sich mit dem Brexit. Wir könnten damit irgendwie umgehen, wenn wir einen Zeitplan hätten. Wir wissen aber schon wieder nicht, ob die Ankündigung, den Artikel 50 (zum EU-Ausstieg; Anm.) im März zu aktivieren, noch immer gilt. Diese Unsicherheit ist unser größter Feind. Und manche versuchen, diese Unsicherheit noch zu verstärken.

Wie würden Sie den derzeitigen Zustand der EU angesichts der vielfältigen Krisen beschreiben?

Das sind Prüfungen. Wir werden getestet. Die EU war für solche Krisen nicht gebaut. Wir müssen Antworten im Gehen entwickeln.

Die Standardantwort der EU für Krisen lautet: „Mehr Europa“. Halten Sie dieses Mantra für sinnvoll?

Diese Forderung nach „mehr Europa“ ist nicht durchdacht. Ich bin kein Anhänger einer Debatte über europäische Institutionen. Wir müssen der Bevölkerung zeigen, dass Europa funktionsfähig ist und in diesem Projekt noch Leben steckt. Wenn das nicht gelingt, wären die Folgen für Mittel- und Osteuropa sehr unangenehm.

Sie sprachen im IWM in Wien über Radikalismus. Ist für Sie ein Politiker wie Ungarns Premier Orbán ein Radikaler?

Die einzige Form des Radikalismus, die ich unterstützen könnte, ist die radikale Demokratie. Die Entwicklung der Zivilisation nach dem Zweiten Weltkrieg beruht darauf, dass die europäische Politik nach dem Krieg gelernt hat, Kompromisse zu schließen. Nicht radikale, sondern moderate Politik hat Europa Erfolge gebracht.

Die Frage war, ob Orbán für Sie ein Radikaler oder ein Moderater ist?

Mir als Sozialdemokraten muss es nicht unbedingt passen, wenn in Nachbarländern wie Ungarn oder Polen Entwicklungen durchgesetzt werden, die nicht ideal sind. Für mich aber ist wichtig, dass wir eine gemeinsame Basis finden, auf der wir Mittel- und Osteuropa nach vorn bewegen können. Deswegen behalte ich meine persönlichen Meinungen für mich.

Trump sucht einen Ausgleich mit Russland. Kann das wieder in die Anerkennung russischer Einflusszonen in Europa à la Jalta münden?

Jetzt wird einfach wiederholt, was schon einmal war. Auch Barack Obama hat den Reset-Knopf gedrückt. Die Beziehungen zu Russland sind sehr angespannt. Die Initiative Trumps kann ein Versuch sein, den Knoten zu durchschlagen.

Sind Sie für die Aufhebung der jetzigen EU-Sanktionen gegen Russland?

Russland hat die Bedingungen für die Aufhebung der Sanktionen noch nicht erfüllt.

Sie haben nach dem Brexit EU-Kommissionspräsident Juncker liebevoll empfohlen, sich einen neuen Job zu suchen. Halten Sie an dieser Anregung fest?

Ein Kommissionspräsident hat die Aufgabe, als ehrlicher Makler bei Konflikten Kompromisse zu suchen und nicht die Spaltung zu vertiefen. Das gilt nicht nur für den Brexit, sondern auch für die Flüchtlingskrise. Der Kommissionspräsident hat nicht mit uns gesprochen, uns nicht besucht.

Sollte sich Juncker also gleich mit Martin Schulz aus der EU verabschieden?

Ich glaube nicht, dass jemand gehen muss. Tschechien wollte nie gegen die Kommission oder das europäische Projekt agitieren. Wir brachten nur den Willen unserer Bevölkerung gegen die Zwangsverteilung von Flüchtlingen zum Ausdruck. Wir wollten über praktische Lösungen reden und nicht Leviten lesen. Ich bin sehr froh, dass wir in den österreichisch-tschechischen Beziehungen nun keine Leviten mehr lesen.

ZUR PERSON

Lubomír Zaorálek, Jahrgang 1956, ist seit Jänner 2014 tschechischer Außenminister in der Regierung von Bohuslav Sobotka. Der sozialdemokratische Politiker ist seit 1996 Abgeordneter im Parlament. Am Donnerstagabend sprach er im Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) zum Thema „Escaping the Trap of Radicalism – Reflections on Central Europe“. [ AFP ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2016)

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