Brexit: Schottland erhöht Druck auf May

Die schottische Regierungschefin, Nicola Sturgeon, will ein Modell wie Norwegen.
Die schottische Regierungschefin, Nicola Sturgeon, will ein Modell wie Norwegen. (c) APA/AFP/PAUL ELLIS
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Edinburgh will von der Forderung nach einer weiteren Teilnahme am EU-Binnenmarkt nicht abgehen – selbst wenn das einen Sonderstatus bedeuten würde.

London. Manchmal muss man eine Suppe auslöffeln, die man sich nicht selbst eingebrockt hat. „Das ist nicht ein Problem, das wir selbst geschaffen haben“, sagte die schottische Regierungschefin, Nicola Sturgeon, am Dienstag in Edinburgh bei der Vorstellung ihrer Pläne, wie der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union gestaltet werden sollte. 62 Prozent der Schotten hatten in der Volksabstimmung am 23. Juni für den Verbleib in der EU gestimmt. Dies hat zu politischen Spannungen zwischen der Regierung in Edinburgh und London geführt.

Gleichwohl akzeptiere die schottische Führung das britische Gesamtergebnis, betonte Sturgeon, und das gestern vorgelegte Papier „Scotlands Place in Europe“ stelle einen „bedeutenden Kompromiss“ dar. Während die schottische Regierung als beste Option für die Zukunft des Landes seine Unabhängigkeit in der EU ansehe, versuche man jetzt auch, „eine gemeinsame Position mit der britischen Regierung zu finden“.

Nach Ansicht der schottischen Führung bedeutet das Votum für den Brexit nicht eine Entscheidung für den Austritt aus dem EU-Binnenmarkt. Es sei „demokratisch vollkommen vertretbar“, wenn Großbritannien eine Lösung wie etwa Norwegen anstrebe, die eine weitere Teilnahme am gemeinsamen Markt vorsehe, sagte Sturgeon: „Ein Austritt wäre für Großbritannien wirtschaftlich vollkommen unsinnig.“

Die Londoner Führung hält sich bisher zu ihrer Position in dieser Frage bedeckt. Allerdings hat sie klargemacht, dass Kontrolle über die Einwanderung für sie Priorität habe und dafür auch der Verbleib im Binnenmarkt mit seinen vier Grundfreiheiten hinten anstehe. Für diesen Fall wünscht sich die Führung in Edinburgh, dass Schottland dennoch Teil des EU-Binnenmarkts bleibt, auch bei Fortbestand des Vereinigten Königreichs, das der Handelszone möglicherweise nicht mehr angehören wird.

Dass eine derartige Lösung, die einer De-facto-Unabhängigkeit sehr nahe käme, „sehr kompliziert“ wäre, räumte Sturgeon selbst ein. Zugleich meinte sie aber: „Schon heute gibt es in der EU eine Fülle von asymmetrischen Vereinbarungen.“ Ein solcher Sonderstatus für Schottland könnte beispielsweise Grenz- und Zollkontrollen notwendig machen. Insbesondere, wenn Großbritannien nur noch über ein Freihandelsabkommen mit den EU-Ländern kooperiert.

Die Alternative eines „harten Brexit“ würde 80.000 Arbeitsplätze in Schottland kosten. Zugleich fordert das Papier in jedem Fall eine weitere Ausweitung der Autonomierechte Schottlands, etwa bei der Einwanderung, der Fischerei oder auch der Außenvertretung.

Die Möglichkeit einer neuen Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands schloss Sturgeon zwar nicht aus, sie meinte aber auch: „Ich glaube an die Unabhängigkeit, aber ich respektiere, dass viele Menschen dagegen sind.“ Obwohl die regierende Scottish National Party in ihrem Wahlprogramm ein neues Referendum versprochen hat, besteht für die Zurückhaltung von First Minister Sturgeon guter Grund: Hatten in der Volksabstimmung 2014 noch 44 Prozent für die Unabhängigkeit gestimmt (56 Prozent votierten für den Verbleib in Großbritannien), liegt die Zahl der Befürworter derzeit – trotz Brexit – nur bei 31 Prozent.

„Kein eigener Brexit für Landesteile“

Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger, Alex Salmond, der ein politischer Heißsporn ist, fährt Sturgeon einen vorsichtigen Kurs. So informierte sie auch die britische Premierministerin, Theresa May, bereits am Montag im Voraus von ihren Plänen. May sagte eine „genaue Prüfung“ der schottischen Brexit-Wünsche zu. Dass sie alle Vorstellungen akzeptieren wird, scheint aber ausgeschlossen. Es sei „undenkbar“, dass jeder der vier britischen Landesteile England, Schottland, Wales und Nordirland seinen „eigenen Brexit“ bekomme, sagte bereits Schatzkanzler Philip Hammond diesen Monat in Edinburgh.

Sturgeon hingegen warnte: „Während wir es respektieren, dass es in England und Wales eine Mehrheit gab, Großbritannien aus der EU zu führen, können wir es nicht hinnehmen, gegen unseren Willen die EU verlassen zu müssen.“ Premierministerin May hat nach ihrem Amtsantritt allen Landesteilen eine Mitsprache bei der Erarbeitung einer „gesamtbritischen Brexit-Position“ versprochen. Viel ist dabei bisher offenbar nicht geschehen: „Mehr als ,Brexit means Brexit‘ bekommt man auch in Gesprächen hinter verschlossenen Türen in London nicht zu hören“, beklagte sich Sturgeon gestern. Anfang Jänner will May erneut mit den Landesvertretern zusammenkommen. Bis dahin wird sie auch eine Antwort auf das schottische Papier brauchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2016)

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