Fake News: Europa sucht nach der Wahrheit

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EU-Kommissionspräsident Juncker will prüfen, ob Google, Facebook und Co. entschieden genug gegen Falschmeldungen vorgehen. In Deutschland wird über schärfere Strafen nachgedacht.

Brüssel/Wien. Bisher ist es in Konflikten zwischen der EU-Kommission und Internetkonzernen aus den USA stets ums Geld gegangen – 2016 rangierten die Vorbehalte der Brüsseler Behörde von aggressiver Steuervermeidung (Apple) über Wettbewerbsverzerrung (Google) bis hin zur vorsätzlichen Täuschung der Regulatoren bei der Übernahme eines Konkurrenten (Facebook/WhatsApp). Doch mit seiner jüngsten Kritik am Geschäftsgebaren und Selbstverständnis der Internetriesen hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Neuland betreten. Das größte Kapital von Google, Facebook und Co. sei die Glaubwürdigkeit, die Konzerne müssten folglich „einen gewissen Ehrgeiz entwickeln“, um die Verbreitung von Falschmeldungen über soziale Netzwerke zu unterbinden, forderte der Chef der Brüsseler Behörde am gestrigen Dienstag – und er kündigte an, seine Behörde werde genau prüfen, ob die Unternehmen entschieden genug gegen Manipulation von Nachrichten vorgehen.

Das Drohpotenzial von Junckers Ankündigung ist bescheiden, denn die Brüsseler Behörde verfügt über kein Mandat für die Prüfung von Meldungen und Postings auf deren Wahrheitsgehalt. Die Verbalintervention des Kommissionspräsidenten ist das jüngste Symptom der wachsenden Sorge von Europas Entscheidungsträgern, gezielte Irreführung von EU-Bürgern könnte sich als wahlentscheidend erweisen. So gilt es mittlerweile als relativ gesichert, dass Falschinformationen einen Einfluss auf das Votum der Briten für den EU-Austritt im Juni und der US-Wähler für Donald Trump im November hatten. Im kommenden Jahr wird in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland gewählt – und das sind nur die planmäßig anstehenden Wahlgänge. In Brüssel geht die Angst um, dass die Politik zur Spielwiese der Manipulatoren verkommen und in Europa ein postfaktisches Zeitalter anbrechen könnte.

Die Angst ist insofern berechtigt, als es mit Russland einen Akteur gibt, der daran interessiert zu sein scheint, Fakten infrage zu stellen und eine revisionistische Weltsicht zu propagieren. Erste negative Erfahrungen mit der russischen Propagandamaschinerie machte die EU im Zuge des Ukraine-Konflikts, als die englischsprachigen russischen Nachrichtenanbieter Russia Today und Sputnik extrem einseitig über die Kampfhandlungen berichteten und Internetforen in der EU mit tendenziösen Beiträgen bombardiert wurden. Als Reaktion darauf hat der Auswärtige Dienst der Union Anfang 2015 die sogenannte East StratCom Taskforce eingerichtet, die Gegenstrategien entwickeln soll. Mit einem Personal von insgesamt neun Mitarbeitern und keinem eigenen Budget ist der Aktionsradius der Taskforce klein – doch immerhin kooperiert sie mit rund 400 externen Experten und publiziert regelmäßig einen Newsletter („Disinformation Review“), der russische Falschmeldungen dokumentiert.

Auf EU-Mitgliedstaaten angewiesen

Für eine groß angelegte Offensive gegen Falschmeldungen fehlten der EU-Kommission sowohl das Budget als auch der Auftrag – der TV-Informationsdienst der EU, Europe by Satellite (EbS), richtet sich nicht an das breite Publikum, sondern fungiert primär als Lieferant von Bild- und Tonmaterial für Medienunternehmen. Im Kampf gegen Desinformation ist die Brüsseler Behörde somit auf die EU-Mitgliedstaaten angewiesen. Und diese verfolgen unterschiedliche Strategien, wie sich anhand von Deutschland und Großbritannien beobachten lässt.

In Berlin versucht man momentan, des Problems mit einem defensiven Ansatz Herr zu werden. Innerhalb der Regierungskoalition wird über die Einführung des Straftatbestands Desinformation diskutiert – alternativ könnten die Tatbestände Verleumdung und üble Nachrede bei erfundenen Nachrichten konsequenter zum Einsatz kommen. Parallel dazu will Deutschland die sozialen Netzwerke für die von ihnen verbreiteten Inhalte mitverantwortlich machen. Im „Spiegel“ kündigte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann an, Marktführer wie Facebook oder Google gesetzlich dazu zu verpflichten, eine rund um die Uhr erreichbare Anlaufstelle für Opfer von Falschmeldungen einzurichten und Fake News unverzüglich zu entfernen. „Wir erwarten, dass sich die Löschpraxis von Facebook deutlich verbessert“, sekundiert Justizminister Heiko Maas.

Während die deutsche Regierung die Plattformbetreiber in die Pflicht nehmen will, setzt Großbritannien traditionell auf Offensive – und den internationalen Dienst des britischen Rundfunks BBC. Einem Gegenangriff stehen allerdings fehlende Geldmittel im Weg. Noch 2015 hat die Regierung von David Cameron mehr Mittel für den BBC World Service lockergemacht, um mit den Russen Schritt zu halten – die Aufstockung (unter anderem für den russischsprachigen Dienst) belief sich auf umgerechnet rund 100 Mio. Euro. Doch angesichts Brexit-bedingter Geldnöte – die Finanzierungslücke bis 2020 im Zusammenhang mit dem EU-Austritt wird auf knapp 70 Mrd. Euro beziffert – regiert auch beim BBC der Sparstift. Im Rahmen eines Sparpakets ist die Streichung von 100 Stellen bei der BBC Monitoring geplant – der Dienst ist nicht zuletzt für die Beobachtung russischer Nachrichten zuständig.

Experten warnen vor negativen Folgen. Anfang Dezember meldete sich Alex Younger, der Chef des Geheimdienstes MI6, zu Wort und bezeichnete russische Propaganda als fundamentale Gefahr für die britische Souveränität.

Fake News

Von der Verbreitung von Falschmeldungen in großem Stil profitierte im US-Präsidentenwahlkampf Wahlsieger Donald Trump. Erfundene Meldungen, wonach der Papst eine Wahlempfehlung für Trump ausgesprochen hätte und Hillary Clinton in Kriminalfälle verwickelt gewesen wäre, erfreuten sich online großer Beliebtheit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2016)

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