Gazprom-Bescherung in Brüssel

TOKYO JAPAN DECEMBER 16 2016 Gazprom Management Committee Chairman Alexei Miller looks on ahead
TOKYO JAPAN DECEMBER 16 2016 Gazprom Management Committee Chairman Alexei Miller looks on aheadimago/ITAR-TASS
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Der russische Staatskonzern unterbreitet der EU-Kommission ein Kompromissangebot, um einer Wettbewerbsstrafe in Milliardenhöhe zu entgehen.

Brüssel/Wien. Es ist der geopolitisch wohl heikelste Wettbewerbsfall in der jüngeren Geschichte der Europäischen Union: Seit mittlerweile fünf Jahren untersucht die EU-Kommission das Geschäftsgebaren des staatlichen russischen Gaskonzerns Gazprom in Mittel- und Osteuropa. Die Brüsseler Behörde geht der Frage nach, warum die osteuropäischen Nachbarn Russlands für Gaslieferungen einen höheren Preis zahlen müssen als das weiter entfernte Deutschland – die festgestellten Preisunterschiede machen bis zu 30 Prozent aus – und warum bei Gazprom gekauftes Erdgas nicht innerhalb der EU weiterverkauft werden darf. Nachdem die Russen den Verdacht nicht entkräften konnten, leitete Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager im April 2015 ein offizielles Verfahren ein. „Ich habe Bedenken, dass Gazprom die EU-Kartellvorschriften verletzt“, sagte sie damals. Das maximale Strafausmaß: Zehn Prozent des Konzernumsatzes, was bei Gazprom rund sieben Milliarden Euro ausmacht.

Doch so weit wird es aller Voraussicht nach nicht kommen. Anfang der Woche schickte der Staatskonzern ein Kompromissangebot nach Brüssel, das nach eigenen Angaben die Bedenken der Brüsseler Behörde aufgreift. Man hoffe auf eine gütliche Einigung in naher Zukunft, teilte Gazprom mit, während eine Kommissionssprecherin bestätigte, das russische Offert erhalten zu haben. Angesichts der Tatsache, dass Vestager bereits im Oktober angekündigt hatte, eine einvernehmliche Lösung des Wettbewerbsfalls anzustreben, dürfte das russische Angebot auf offene Ohren stoßen. Um den Kartellstreit zu schlichten, muss sich Gazprom dazu verpflichten, künftig auf wettbewerbsverzerrende Geschäftspraktiken zu verzichten. Gibt es anschließend keinen Einspruch seitens der europäischen Konkurrenz, kann Vestager den Fall ad acta legen.

Doch zurück zur eingangs erwähnten Geopolitik. Die Causa Gazprom ist aus mindestens vier Gründen delikat. Erstens, weil die EU rund ein Drittel ihres Gasbedarfs in Russland deckt und von Gazprom abhängig ist. Zweitens, weil die Ungleichbehandlung einen Keil zwischen die EU-Mitgliedstaaten in Ost- und Westeuropa treibt. Drittens, weil Gazprom-Chef Alexej Miller ein enger Vertrauter von Staatspräsident Wladimir Putin ist und Putin Gaslieferungen als Mittel zur außenpolitischen Einflussnahme einsetzt. Und viertens, weil die Ost-West-Beziehungen durch die russische Annexion der Krim und EU-Sanktionen gegen Russland ohnehin zerrüttet sind. Diese Sanktionen wurden vor wenigen Tagen um weitere sechs Monate verlängert. Aus dieser Perspektive betrachtet, wirkt das wettbewerbsrechtliche Tauwetter zwischen Brüssel und Moskau wie ein Versuch, das gegenseitige Vertrauen zumindest ansatzweise wiederherzustellen, anstatt zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen.

Nord Stream II hat Priorität

Für Gazprom haben sich in der Zwischenzeit ohnehin die Prioritäten verschoben. In dem laufenden Wettbewerbsfall geht es um Preispolitik in der Periode vor 2012. Das oberste Ziel der Russen sind nicht mehr höchstmögliche Profite, sondern die Beibehaltung der Marktanteile in Europa – denn zu den energiepolitischen Prioritäten der EU zählt die Verringerung der Abhängigkeit von Lieferungen aus Russland. Das momentan wohl wichtigste Projekt von Gazprom trägt den Namen Nord Stream II – es ist die zweite Pipeline unter der Ostsee, durch die Erdgas direkt nach Deutschland gepumpt wird. Für Moskau ist Nord Stream ein politisches Druckmittel gegen Weißrussland und die Ukraine – beide ehemaligen Sowjetrepubliken können nicht mehr damit drohen, die Gaslieferungen an die EU zu unterbrechen. Aber auch Polen und die baltischen EU-Mitglieder wollen nicht in eine Situation geraten, in der sie vom Wohlwollen Russlands und Deutschlands abhängig sind.

Im Kampf gegen Nord Stream II haben die Osteuropäer unlängst einen Etappensieg errungen: Nach einer Beschwerde des polnischen Energieversorgers PGNIG hat der Europäische Gerichtshof die Entscheidung der EU-Kommission zur Gaspipeline Opal gestoppt. Opal ist eine Abzweigung von Nord Stream, durch die Gas nach Deutschland und Tschechien gepumpt wird. Die Brüsseler Behörde hat zuvor ein höheres Durchleitungsvolumen für Opal bewilligt – was nach Ansicht der Polen (und des EuGH) die europäische Abhängigkeit von Gas aus Russland weiter erhöhen würde, anstatt sie wie vereinbart zu reduzieren. „Die EU-Kommission ist überzeugt, dass ihr Beschluss im vollen Einklang mit dem dritten Energiepaket (dem energiepolitischen Rahmenprogramm der EU, Anm.) steht“, hieß es aus der Brüsseler Behörde.

AUF EINEN BLICK

Die EU-Kommission untersucht das Geschäftsgebaren von Gazprom seit 2011, im April 2015 wurde ein Wettbewerbsverfahren eröffnet. Die Brüsseler Behörde wirft dem Staatskonzern vor, seinen europäischen Kunden den Weiterverkauf von Erdgas zu untersagen und in mehreren EU-Mitgliedstaaten, die von russischen Lieferungen abhängig sind (Polen, Litauen, Lettland, Estland und Bulgarien), überhöhte Preise zu verlangen. Das maximale Strafausmaß: zehn Prozent des Konzernumsatzes, was bei Gazprom rund sieben Milliarden Euro ausmacht. Im Oktober haben EU-Kommission und Gazprom vereinbart, eine gütliche Einigung anzustreben. Am Dienstag gaben die Russen ihr Kompromissangebot in Brüssel ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2016)

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