Aufrüsten für die nächste Migrationswelle

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2017 sollen die Außengrenzen der EU besser geschützt werden – als Vorbereitung auf ein mögliches Platzen des umstrittenen Flüchtlingsdeals zwischen der EU und Türkei. Österreich ist bei der Initiative Vorreiter.

Wien. Anfang 2016 lag der Schwerpunkt der nach Europa kommenden Flüchtlingsströme noch in Griechenland bzw. auf der Westbalkanroute. Ein Jahr später befindet sich Italien im Zentrum des Ansturms und kämpft mit einem neuen Flüchtlingsrekord: 181.405 Menschen kamen 2016 laut neuesten Daten des UN-Flüchtlingshochkommissariats (Stand 31. Dezember) über das Mittelmeer nach Italien; das ist um ein Fünftel mehr als ein Jahr zuvor – Tendenz steigend. Auf der Route über die Ägäis und Griechenland, entlang der 2015 noch mehr als eine Million Menschen Richtung Westen strömten, ist es dagegen deutlich ruhiger geworden. Mit der von Österreich initiierten „Sperre“ der Westbalkanroute und dem psychologisch wichtigen Abkommen zwischen EU und Türkei gingen die Flüchtlingsströme ab vergangenem April deutlich zurück – im Dezember waren es 9400 Menschen, die in Griechenland ankamen. Aber dabei muss es nicht bleiben.

Nach Drohungen des türkischen Staatschefs Erdoğan, das Abkommen aufzukündigen, forcieren jetzt mehrere europäische Politiker den Plan B: Einen verstärkten Schutz der EU-Außengrenzen, um für einen möglichen neuen Flüchtlingsansturm gewappnet zu sein – auch wenn alle Experten betonen, dass dieser bei Weitem nicht so drastisch sein würde wie 2015. Treibende Kraft ist Österreich, das gemeinsam mit mehreren zentral- und osteuropäischen Staaten zusammenarbeitet, um für den Tag X vorbereitet zu sein. Man könne der Bevölkerung kein zweites Mal erklären, man sei von der Situation überrascht worden, begründete Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil die Pläne. Anfang November lud er seine Ressortkollegen aus mehreren zentraleuropäischen und Balkanländern zu einem Treffen ins Burgenland, um Maßnahmen für besseren Grenzschutz einzuleiten. Seither versucht Doskozil bei Besuchen in Mazedonien, Albanien, dem Kosovo, Bosnien etc. diese Maßnahmen zu konkretisieren. Österreichs Ansatz: enger zusammenarbeiten, alle Kräfte bündeln und auch verstärkt das Militär einzusetzen, das mit den jeweiligen nationalen Polizeikräften, aber auch mit der EU-Grenzagentur Frontex zusammenarbeiten soll.

Vieles hängt aber von den rechtlichen Möglichkeiten in den einzelnen Teilnehmerländern ab. Was Österreich betrifft, hat die Regierung im Rahmen ihres Sicherheitspaketes bereits beschlossen, dass Einsätze an der EU-Außengrenze möglich sein sollen. Allerdings braucht es dazu noch einen Beschluss im Nationalrat. Österreich bietet daher derzeit vor allem materielle Unterstützung an. Etwa Nachtsichtgeräte für Serbien und Mazedonien oder Transportfahrzeuge für Bulgarien.

Frontex wird ausgebaut

Als nächster Schritt wird die Kooperation zwischen Innen- und Verteidigungsressorts verstärkt: Ende Jänner wird es ein gemeinsames Treffen der Verteidigungs- und Innenminister der zentraleuropäischen und Balkanländer geben, bei dem die Möglichkeiten einer gemeinsamen Außengrenzkontrolle definiert werden sollen, so Doskozil. Mittlerweile kann auch die EU-Grenz- und Küstenschutzagentur Frontex, deren Strukturen bisher rasche Entscheidungen erschwerten, aktiver werden. Im Oktober wurden ihr von den EU-Regierungen mehr Kompetenzen und auch Eingriffsrechte zugestanden. Zugleich wird Frontex ab diesem Jahr personell aufgestockt. Derzeit sind etwa 1300 Grenzschützer der Agentur im Einsatz, hinzu kommen aus den Mitgliedsländern nun weitere 1500, die bei Krisen binnen weniger Tage zu gefährdeten Außengrenzen geschickt werden können.

Laut einem „Spiegel“-Bericht plant Frontex in den kommenden Wochen, Beamte zur Überwachung der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien zu entsenden. Es wäre dies das erste Mal, dass Frontex-Kräfte in dieser Funktion vor Ort agieren, heißt es in dem aus Athen stammenden Bericht. 2015 hat sich Griechenland noch geweigert, Frontex-Beamte an seiner Grenze zuzulassen.

All diese Maßnahmen können freilich die Grenzen nicht völlig dicht machen. Es gibt immer noch Schlepper, die neue Routen finden. In diesem Sinne äußerte sich auch kürzlich der Vizedirektor von Frontex, der Österreicher Bernt Körner, bei einem Vortrag in Wien. „Migrationsprobleme kann man nicht allein durch grenzpolizeiliche Mittel lösen“, betonte er. Man müsse auch die Netzwerke dahinter identifizieren und vernichten. Daher müsse man verstärkt Personendaten sammeln und die Zusammenarbeit mit Europol verstärken. Dies könne Frontex mit der Erweiterung der Kompetenzen jetzt leichter umsetzen, so Körner.

Auf einen Blick

Der Flüchtlingsstrom hat sich von Griechenland nach Italien verlagert. Die Kontrollen an der Westbalkanroute und der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und Türkei zeigen Wirkung. Doch die Drohungen der türkischen Führung, den Pakt aufzukündigen, lassen in den betroffenen Ländern wieder die Alarmglocken läuten. Unter der Führung Österreichs wollen sich die Länder des Westbalkans und Osteuropas nun noch stärker koordinieren, um die EU-Außengrenze zu schützen. Die Aufwertung der Grenzschutzagentur Frontex könnte dabei helfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2017)

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