Erweiterung: EU kritisiert die Türkei und lobt Mazedonien

(c) AP (Osman Orsal)
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Alle aktuellen und möglichen Beitrittskandidaten lassen bei der Modernisierung des Gerichtswesens, der Durchsetzung der Bürgerrechte und der Eindämmung der Bestechung noch die Zügel schleifen, meint Brüssel.

BRÜSSEL/WIEN. Die EU-Kommission hat am Mittwoch ihren Jahresbericht über den Fortschritt der Reformen in den Staaten Südosteuropas vorgestellt, die über einen EU-Beitritt verhandeln oder dies tun wollen. Sie lobt Fortschritte, bemängelt aber den Stillstand bei der Reform der Justizsysteme, der Stärkung der Bürgerrechte und beim Kampf gegen die Korruption. Weiterhin sehr kritisch steht die EU-Behörde zur Türkei, zentrale Verhandlungskapitel werden noch länger geschlossen bleiben. Der „Musterschüler“ unter den EU-Anwärtern ist demgegenüber laut der Kommission Mazedonien: Das Land hat gute Chancen, bald in Beitrittsverhandlungen zu treten.

Türkei: Sorge wegen Pamuk und Do?an

EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn zeigte sich bei der Vorstellung des Türkei-Berichts „sehr enttäuscht über ein neues Gerichtsurteil, Orhan Pamuk erneut vor Gericht zu bringen“. Am 8. Oktober hat ein türkisches Gericht einer Gruppe rechtsgerichteter Nationalisten das Recht zugesprochen, von dem Literaturnobelpreisträger Schadenersatz zu verlangen, weil er gesagt hatte, in der Türkei seien eine Million Armenier und Zehntausende Kurden ermordet worden. Mit Sorge betrachtet die Kommission auch jene Geldstrafe von umgerechnet 2,2 Mrd. Euro, die der Medienkonzern Do?an wegen angeblicher Steuerhinterziehung zahlen muss. „Wir haben diesen Fall analysiert und haben ernste Bedenken“, sagte Rehn. „Wenn eine Steuervorschreibung einen Jahresumsatz ausmacht, fühlt sich das wie eine politische Sanktion an.“ Die Reaktion aus Ankara folgte prompt. Diese Verfahren gehen nur das türkische Finanzministerium und die Justiz etwas an, nicht aber die EU, sagte der türkische Europaminister Egemen Ba?i?.

Die Kommission erwartet weiterhin, dass die Türkei dem griechischen Südzypern die Flug- und Seehäfen öffnet. Der türkische Außenminister Ahmet Davuto?lu hat dies aber erst vorletzte Woche energisch verweigert, weil seiner Ansicht nach zuerst die internationale Ächtung des türkischen Nordzyperns beendet werden muss. Keinen Fortschritt gibt es bei der Eindämmung der politischen Macht des Militärs sowie beim Kampf gegen die Korruption.

In Österreich, aber auch anderen EU-Ländern wurde die Kritik der Kommission positiv aufgenommen. Die meisten finden, dass zentrale Kapitel in den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei weiter nicht behandelt werden sollten. Ein Vollbeitritt ist zumindest vor 2020 unrealistisch.

Kroatien: Mängel im Justizwesen

Besser sieht es mit den Fortschritten in Kroatien, dem wahrscheinlichen 28. Mitgliedsland der EU, aus. Sowohl die Europäische Union als auch das Land selbst wollen, dass Kroatien etwa 2012 beitreten kann. Kroatien befinde sich zwar „knapp vor der Ziellinie“, sagte Rehn in Brüssel. Seinem Bericht zufolge ist „knapp“ allerdings ein relativer Begriff: „Verzögerungen in Kroatien“ sorgen dafür, dass die EU mit Zagreb noch immer nicht über die Bereiche Gerichtswesen und Grundrechte sowie Wettbewerb (Kroatien will seine maroden Werften EU-widrig subventionieren) verhandelt.

Das Auswahlverfahren für Richter und Staatsanwälte sei „mangelhaft“, dem System würden „Transparenz und die einheitliche Anwendung objektiver Kriterien“ fehlen. Selbiges gelte in Disziplinarverfahren gegen Justizbeamte. Das Zagreber Justizministerium habe „noch immer keine Mittel, um die Vermögenserklärungen von Richtern und Staatsanwälten zu prüfen“. Ob sich kroatische Justizbedienstete „schmieren“ lassen, ist faktisch also nicht zu überprüfen.

Bosnien-Herzegowina: Politisch unwillig

Von Bosnien-Herzegowina erwartet die EU-Kommission, dass es „dringend die wichtigsten Reformen vorantreibt“. Die Entscheidungsträger seien sich über den weiteren Weg des Landes nicht einig, und der politische Wille, die EU-Reife zu erreichen, sei zu schwach. Das Land müsse erst die Bedingungen für die Auflösung des Büros des Hohen Repräsentanten für Bosnien-Herzegowina schaffen. Bosnien schaffe es nicht, sich eine neue Verfassung zu geben, heißt es weiter im Fortschrittsbericht der Kommission (siehe Interview mit dem Hohen Repräsentanten in Bosnien, Valentin Inzko, unten).

Serbien: Schlechte Haltung zum Kosovo

Serbien habe Fortschritte bei der Umsetzung des Interimsabkommens mit der Europäischen Union gemacht, dieses solle nun von der EU umgesetzt werden. Denn Serbien habe „nachhaltige Zusammenarbeit“ mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag bewiesen.

Das Land habe „wichtige politische Reformen“ vorangetrieben und den Willen, die EU-Reife zu erreichen, so urteilte die EU-Kommission am Mittwoch. Gegenüber dem Kosovo wünscht sich die Behörde von Serbien eine „konstruktivere Haltung“.

Mazedonien: Fit für Beitrittsverhandlungen

„Wir können die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen nun empfehlen“, sagte Rehn zum EU-Anwärter Mazedonien. „Ich vertraue darauf, dass die Regierung in Skopje das als Anlass nimmt, die Namensfrage zu lösen.“

Die Regierung in Skopje streitet seit der Unabhängigkeit des Landes mit dem benachbarten Griechenland über seinen Staatsnamen, wobei Athen befürchtet, dass Skopje Ansprüche auf eine gleichnamige nordgriechische Region geltend macht. Beim Wettbewerb ist Mazedonien noch nicht EU-reif. Auch in der Justiz gibt es noch Nachholbedarf.

Montenegro: Keine Rechtsstaatlichkeit

Montenegro, das im Dezember 2008 seinen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt hat, hinkt noch bei Verwaltung und Rechtsstaatlichkeit weit hinter den EU-Ländern her. Die EU-Kommission verlangt baldige Fortschritte.

Albanien: Institutionen nicht funktionstüchtig

Auch in Albanien sieht die Kommission die Rechtsstaatlichkeit noch nicht garantiert, und die staatlichen Institutionen funktionieren noch nicht ordnungsgemäß, findet die EU-Behörde.

Kosovo: Schwacher Minderheitenschutz

„Die Stabilität im Land ist noch brüchig“, sagte Rehn. Rechtsstaatlichkeit, der Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität, eine bessere Verwaltung sowie der Schutz der Serben und anderer Minderheiten bleiben Herausforderungen. In einem eigenen Papier schlägt die EU-Behörde vor, nach entsprechenden Reformen über eine Visaliberalisierung zu verhandeln. Meinung, Seite 27

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2009)

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