Augenzwinkern bei Budgetdefizit bringt Euro in Gefahr

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Athens Finanzdesaster ist die Folge einer aufgeweichten EU-Stabilitätspolitik. Angela Merkel fordert ein direktes Eingreifen der EU in hochverschuldeten Ländern.

Der Schock beim EU-Gipfel saß tief. Griechenland hat mit einem Schuldenberg von 300 Milliarden Euro die EU-Partner vor den Kopf gestoßen. Bei ihrem Treffen in Brüssel verlangten die versammelten Staats- und Regierungschefs deshalb vom griechischen Premierminister Giorgios Papandreou dringende Sparmaßnahmen, um einen Staatsbankrott abzuwenden. Denn ein finanzieller Exodus in Athen würde die gemeinsame Währung schwer treffen.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ging so weit, ein direktes Eingreifen der EU in hochverschuldeten Ländern zu fordern. Damit würde die Budgetpolitik dieser Länder unter Kuratel gestellt. Dieser radikale Vorschlag kommt nicht von ungefähr. „Die Lage ist nicht ernst, sie ist sehr ernst“, warnte ein EU-Diplomat. Mehrere angereiste Regierungschefs sprachen von einem drohenden Schaden für den Euro und gaben zu verstehen, sie würden im Notfall der Regierung in Athen finanziell zur Hilfe kommen.

Diese Bereitschaft entspringt auch einem schlechten Gewissen. Denn die griechischen Probleme haben eine lange Vorgeschichte, an der auch die großen EU-Länder Deutschland und Frankreich beteiligt waren.

In der Vorbereitungsphase auf den Euro war das gemeinsame Interesse von Paris und Berlin noch groß gewesen, möglichst viele Teilnehmerländer für die neue Währung zu finden. Auf eine seriöse Überprüfung der Haushaltszahlen wurde wenig Wert gelegt. So konnte sich Griechenland die sogenannten Maastricht-Kriterien mit geschönten Budgetzahlen aus den Jahren 1997 bis 1999 erschleichen. Statt eines erlaubten Defizits von drei Prozent wies der griechische Haushalt, wie sich später herausstellte, in den relevanten Jahren Werte zwischen 3,38 und 6,44 Prozent des BIP auf. Damit hätte das Land nie von Beginn an am Euro teilnehmen dürfen.

Der nächste Fehler wurde 2004 begangen: Nachdem der Schwindel der Griechen aufgeflogen war, gab es für die Regierung in Athen keine Konsequenzen.

Stabilitätspakt aufgeweicht

Die tickende Zeitbombe wurde von den EU-Partnern auch weiterhin verdrängt. Im Jahr 2005 bekamen Frankreich und Deutschland selbst Budgetprobleme. Beide Länder nahmen dies zum Anlass, den Stabilitätspakt (vertragliche Grundlage für Budgetdisziplin der EU-Länder) aufzuweichen. In Krisensituationen darf seitdem die Defizitgrenze ungestraft durchbrochen werden. Es war ein Freibrief, den gleich mehrere Länder nutzten, um ihre Staatsausgaben anzuheben.

Beim EU-Gipfel in Brüssel wurde, wie Bundeskanzler Werner Faymann bestätigte, nun eine konsequentere Kontrolle der nationalen Haushalte diskutiert. Die Defizite, die lange mit Augenzwinkern hingenommen wurden, haben nämlich mittlerweile dramatische Folgen ausgelöst. Griechenland, so hieß es am Rand des Gipfels, dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein. Auch Spanien, Portugal und Italien schlittern immer tiefer in Haushaltsprobleme. Deutschland wird im kommenden Jahr sein Defizit auf einen historischen Höchststand von fünf Prozent des BIP hochschrauben. Bund, Länder und Gemeinden brauchen neue Kredite in Höhe von 140 Milliarden Euro.

In der gesamten EU wird sich das Defizit in diesem Jahr wegen der Wirtschaftskrise auf knapp sieben Prozent erhöhen und 2010 nach Prognose der Kommission bei 7,5 Prozent des BIP liegen. Die Europäische Zentralbank (EZB) warnt bereits vor einem Hemmschuh für die notwendige Erholung der Wirtschaft. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet: „Wer bei der mittelfristigen Konsolidierung der Finanzen nicht glaubwürdig ist, hemmt die Erholung schon jetzt.“

LEXIKON

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist ein Abkommen unter den EU-Ländern vom Ende der 1990er-Jahre, das die Stabilität des Euro und die Haushaltsdisziplin in den Mitgliedsländern sichern soll. Den Maßstab bilden die Konvergenzkriterien, unter anderem dürfen das öffentliche Defizit nicht mehr als drei und der Schuldenstand nicht mehr als 60Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen.

Geht ein Land nicht binnen zweier Jahre erfolgreich gegen ein zu hohes Defizit vor, kann der Rat Sanktionen verhängen. Während Krisen kann die Defizitgrenze aufgehoben werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2009)

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