Schwache Auftritte der Bulgarin Schelewa und des Litauers Semeta stellen Barrosos Personalauswahl in Frage. Barnier legt wert darauf Dienstleistungsmärkte nicht über Gebühr regulieren zu wollen.
Brüssel. So schnell kann sich das Blatt wenden: Nach dem ersten halben Dutzend Anhörungen der neuen EU-Kommissare durch die zuständigen Ausschüsse des Europaparlaments waren die Zeitungen von Turku bis Neapel voll der Klage über die sandgestrahlten, übertrainierten und nichtssagenden Aussagen der Kandidaten.
Doch dann hatten der Litauer Algirdas Semeta und die Bulgarin Rumjana Schelewa ihre Auftritte. Und seither liegen in Brüssel die Nerven blank. Semeta, der Kandidat für das Portefeuille aus Steuern und Zollunion, Audit und Betrugsbekämpfung, zog sich durch inhaltliche Unsicherheit den Unmut zahlreicher EU-Abgeordneter zu. Sie nahmen es ihm vor allem übel, dass er nur ausweichend darüber Auskunft gab, wie er die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf reformieren würde.
Ersatzkandidaten für Schelewa
Schelewa wiederum konnte nicht zufriedenstellend darüber Klarheit schaffen, wieso sie gegenüber Kommission und Parlament nicht deklariert hatte, an einer Firma beteiligt zu sein, deren Geschäftsgegenstand unter anderem die Beratung bei Privatisierungen ist. Schelewa hatte von 1996 bis 1998 im Aufsichtsrat der bulgarischen Privatisierungsagentur gesessen.
Die Sozialisten, Grünen und Liberalen erklärten, Schelewa nicht unterstützen zu können, bis die Ungereimtheiten geklärt sind. Und so kursierten in Sofia Gerüchte, die Regierung habe Ersatzkandiaten im Talon, auch wenn Ministerpräsident Boiko Borissow von einem Rückzug seiner Kandidatin noch nichts wissen wollte.
Zunächst wurde Verteidigungsminister Nikolai Mladenow genannt. Er saß von 2007 bis 2009 für die Regierungspartei Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens (Gerb) im EU-Parlament und war zuvor für die Weltbank tätig. Am Mittwoch fiel zudem der Name des EU-Abgeordneten Andrej Kowatschew (Gerb).
Ob Schelewa und Semeta der nächsten Kommission angehören, wird davon abhängen, ob die drei großen Fraktionen der Volkspartei, Sozialisten und Liberalen zum Ergebnis kommen, dass sie nicht haltbar sind, sich aber gleichzeitig Alternativen finden, die das Gleichgewicht zwischen den Parteien erhalten. Beide sind Kandidaten der Konservativen.
Vor allem der Fall Schelewas wirft die Frage auf, wieso Kommissionspräsident José Manuel Barroso die Angaben seiner Kandidaten zu möglichen Interessenkonflikten nicht hat prüfen lassen.
Die Anhörung von Michel Barnier, des französischen Kandidaten für das Ressort Binnenmarkt und Dienstleistungen, ging aber am Mittwoch glatt über die Bühne. Der 59-jährige frühere Außen- und Agrarminister war von 1999 bis 2004 Kommissar (für Regionalpolitik). Seine Nominierung hatte den Bankern der Londoner City den Angstschweiß auf die Stirn getrieben, witterten sie doch einen Angriff des etatistischen Präsidenten Nicolas Sarkozy.
Um diese Sorgen zu zerstreuen, hat Barnier den britischen Karrierebeamten Jonathan Faull zu seinem Generaldirektor gemacht. Im Hearing gab er sich versöhnlich: „Es ist im Interesse der europäischen und folglich auch der britischen Finanzindustrie, intelligent und wirksam reguliert zu werden.“ Er wolle einen „Geist der Vorsorge“ fördern, zum Beispiel durch höhere Eigenkapitalvorschriften für die Banken. „Finanzprodukte müssen Qualität haben, bekannt sein. Man muss wissen, woher sie kommen. Vergleichen Sie das mit Lebensmitteln, etwa dem Wein.“
Der Zeitplan
■EU-Hearings. Die Anhörungen der 26 EU-Kommissionskandidaten laufen bis 19.Jänner. Österreichs Johannes Hahn ist heute, Donnerstag, dran. Das EU-Parlament plant, am 26.Jänner abzustimmen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14. Jänner 2010)