Griechen, Spanier, Portugiesen: Schatten der Diktatur

Schuldenkrise lange Schatten Diktatoren
Schuldenkrise lange Schatten Diktatoren(c) EPA
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Eine Erklärung für die Schuldenkrise von Griechenland, Spanien und Portugal ist deren jüngste Geschichte. Die Länder sind die jüngsten Demokratien der Eurozone.

Sympathisch sind sie ja, die sonnigen Südeuropäer. Aber betrügerisch, das auch. Leben jahrzehntelang über ihre Verhältnisse, und nun sollen die korrekteren nördlicheren Europäer dafür aufkommen. Ob ähnlich plump oder etwas differenzierter formuliert: Beim Versuch, die Schuldenkrisen in Griechenland, Spanien oder Portugal zu verstehen, tauchen immer wieder die altbekannten Nord-Süd-Klischees auf.

Vermutlich ist es wirklich kein Zufall, dass ausgerechnet die „Club Med“-Länder mit ihrer verantwortungslosen Ausgabenpolitik den Euro in die Existenzkrise gestürzt haben. Erklären dürfte das aber weniger das fröhlich-faul-korrupte Wesen des „Mittelmeer-Menschen“, sondern ihre jüngere Geschichte. Griechenland, Spanien und Portugal sind die jüngsten Demokratien der Eurozone. Erst im Frühling 1974 stürzten junge Offiziere die Diktatur in Portugal, wenige Monate später trat das Obristen-Regime in Griechenland unter Georgios Papadopoulos zurück. Mit dem Tod von General Francisco Franco 1975 ging dann auch Spanien in Richtung Demokratie.

Der Bruch mit der Vergangenheit war radikal – zumindest an der Oberfläche. Bereits ein Jahrzehnt nach dem Fall ihrer Regime wurden die drei Länder in die damalige EG aufgenommen, nicht einmal zwanzig Jahre später in die Eurozone. Der Preis: für eine möglichst konfliktfreie Demokratisierung musste die problematische jüngere Geschichte unter den Teppich gekehrt werden. Das geschah, indem sie – bewusst – vergessen wurde. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Diktaturen fand kaum statt. „Die Integration Spaniens, Portugals und Griechenlands in die Wirtschaftsgemeinschaft wurde überschätzt. Man glaubte, dass eine ökonomische Integration reiche, um die diktatorische Vergangenheit zu überwinden. Die Demokratisierung der Gesellschaften wurde aber nur zum Teil erreicht: Nicht gelungen ist etwa die Schaffung einer unabhängigen Justiz und die Transparenz ökonomischer Prozesse“, analysiert der Wiener Zeithistoriker Oliver Rathkolb.

Die Vergangenheit hinterließ trotz Verdrängung tiefe Spuren. Eines ihrer „Erben“ war eine tief gespaltene Gesellschaft. „Auch in Österreich war die Gesellschaft nach 1945 gespalten. Die Spaltung wurde aber durch den Wohlfahrtsstaat mit einer großkoalitionären, sozialpartnerschaftlichen Struktur verdeckt“, sagt Rathkolb. Nicht so in Südeuropa. Zwar überlebten auch hier die aufgeblähten Staatsapparate den Regimewechsel, konsensorientierte Politik fehlte aber. Vor allem in Spanien und Griechenland spiegelte sich der ideologische Konflikt im verbissenen Antagonismus zwischen „rechten“ und „linken“ Massenparteien wider. Den „Mammutstaat“ brauchten die Parteien, um ihre Macht zu legitimieren.

Klientelstaat

Der Athener Historiker Vassiliki Georgiadou illustriert das am Beispiel Griechenlands: „Anstelle des Regimes trat 1974 ein klientelistischer Staat. Mit der Behauptung, sie seien jahrzehntelang von der Machtausübung ausgeschlossen worden, okkupierten die linken PASOK-Regierungen den Staat und erklärten die Parteimitgliedschaft als Voraussetzung zum Staatzugang. Denselben Anspruch machte die (rechte) Neue Demokratie geltend, als sie an die Macht kam.“

Die Folgen: Sparmaßnahmen und Wirtschaftsreformen wurden lange kaum angegangen. Zu groß war der Widerstand der Klientel. Zu groß aber auch die Angst, durch Streichungen alte Wunden wieder aufzureißen und bedrohliche soziale Unruhen zu provozieren. Die Produktivität blieb auf der Strecke. Zugleich verstärkten Korruption und eine ineffiziente Infrastruktur das große Misstrauen der Bevölkerung in den Staat. In allen drei „Club Med“-Ländern ist Steuerhinterziehung ein verbreitetes Übel. Nach dem Motto: Man stiehlt vom Staat, der einen bestiehlt.

War die Krise also angekündigt? „Als man in Spanien, Portugal und Griechenland zaghaft begonnen hat, eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu führen, hätte man auch die exzessive staatliche Ausgabenpolitik bremsen können und müssen. Dieser Zeitpunkt wäre rund um den Euro-Beitritt gewesen. Die EU hätte die Probleme dieser Länder erkennen müssen. Man hat sie ja auch erkannt. Doch man hat sie einfach ignoriert“, so Rathkolbs Fazit.

AUF EINEN BLICK

Spanien: Bürgerkrieg 1936–1939, Diktatur von General Franco von 1939 bis zu seinem Tod Ende 1975.

Portugal: „Estado Novo“, ständestaatlich orientierte autoritäre Diktatur unter António de Oliveira Salazar, 1932–1974.

Griechenland: Militärdiktatur der Obristen 1967–1974 unter Georgios Papadopoulos. Sturz durch Studentenrevolte ab 1973.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2010)

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