EU-Beitritt als Spaltpilz zwischen Türkei und Österreich

Zwischen Tuerkei oesterreich stehen
Zwischen Tuerkei oesterreich stehen(c) Epa/Tolga Bozoglu (Tolga Bozoglu)
  • Drucken

Seit Wien 2005 fast die Beitrittsverhandlungen mit Ankara torpediert hätte, ist das Verhältnis getrübt. Auch wenn man sich das öffentlich meist nicht anmerken lässt.

Stell dir vor, es ist Theater – und einer spielt plötzlich nicht mehr mit. Die anderen Akteure auf der (Polit-)Bühne sind als Schauspieler enttarnt, und die mühsam errichtete Fassade fällt zusammen wie ein Soufflé.

So ergeht es dieser Tage der von offiziellen Vertretern Österreichs und der Türkei bei jeder Gelegenheit vorgebrachten Behauptung, um die Beziehungen stehe es zum Allerbesten. Das tut es nicht. Und zwar nicht erst seit dem viel zitierten Interview mit dem türkischen Botschafter, Kadri Ecvet Tezcan, in der Mittwochausgabe der „Presse“. Tezcan hatte in drastischen Worten Österreichs Integrationspolitik als gescheitert kritisiert, Innenministerin Maria Fekter, SPÖ und FPÖ scharf angegriffen und geklagt, Türken würden in Österreich „wie ein Virus“ behandelt. Mittlerweile hat Tezcan, der vom Wiener Außenamt zu einem klärenden Gespräch bestellt wurde, zu besänftigen versucht: Er habe niemanden kränken, sondern nur eine Diskussion anstoßen wollen.

Langfristig betrachtet seien die Beziehungen tatsächlich ausgezeichnet gewesen, wenn man die Bilanz der letzten 20 Jahre nehme, meint der Türkei-Spezialist Cengiz Günay vom Österreichischen Institut für Internationale Politik. Eintrübungen gab es nur, wenn Ankara Österreich gelegentlich vorhielt, eine Schutzzone für PKK-Terroristen zu sein. Doch 2004/2005 gab es einen Bruch. In der EU stand eine Entscheidung an: Verhandlungen mit der Türkei beginnen oder nicht? Und Österreich blockierte.

1,90 Meter blonder Starrsinn

Die ÖVP/FPÖ-Regierung gab stolz den David („Es steht 24:1“), unterstützt von der SPÖ und der „Stimme des Volkes“: Nur zehn Prozent waren 2005 für einen Beitritt, Tendenz sinkend. Österreich bremste bis zur letzen Sekunde, was Außenministerin Ursula Plassnik in einer türkischen Zeitung den Titel „1,90 Meter blonder Starrsinn“ einbrachte. Letztlich konnte Wien die Aufnahme der Verhandlungen nicht verhindern, hat aber in der EU an Reputation verloren.

Ankara war damals – Zitat Premier Erdoğan – „schockiert“ über Wien. Mittlerweile haben sich die diplomatischen Beziehungen wieder beruhigt, weil Österreich jetzt ja keine Blockadepolitik verfolge, meint Günay. Muss es auch nicht, das erledigen Frankreich und Zypern, was Österreich wirtschaftlich zugute kommt: „Österreich steht nicht so wie Frankreich auf einer schwarzen Liste.“ Französische Firmen würden etwa bei öffentlichen Aufträgen klar benachteiligt.

In Ankara weiß man freilich gut, dass sich an Österreichs Haltung rein gar nichts geändert hat. Im diplomatischen Umgang – Stichwort: Theater – lässt man sich aber nichts anmerken. Das führt mitunter zu absurden Szenen, wenn etwa Abdullah Gül als Außenminister 2006 aus reiner Höflichkeit eine Volksabstimmung in Österreich über einen türkischen EU-Beitritt begrüßte, oder sein Nach-Nachfolger Ahmet Davutoğlu kürzlich von einer Rolle Österreichs als „Fürsprecher der Türkei“ fantasierte.

„Die Debatte über den Beitritt hat an xenophoben Elementen zugenommen“, konstatiert Experte Günay, „und das hat auf türkischer Seite zu Enttäuschung und mittlerweile auch Wut geführt. Wenn man in manchen österreichischen Beiträgen zum Thema das Wort Türkei durch Österreich ersetzen würde, wäre auch hier die Empörung groß.“ Und in einer globalisierten Welt wird jeder Rülpser sofort wahrgenommen: „Die FPÖ-Comics waren am nächsten Tag schon in den türkischen Medien.“ Ebenso wie das Interview mit dem türkischen Botschafter.

Dieses hat in Österreich zwar zunächst für viel Getöse und Empörung gesorgt. Dennoch dürfte in die Beziehungen bald wieder Pragmatismus einkehren, dazu sind die wechselseitigen Interessen einfach zu groß, erklärt Günay: Für Österreich, das in der Türkei heute wirtschaftlich so stark engagiert ist wie nie zuvor, stehe auf diesem Gebiet viel auf dem Spiel: „Und die Türkei möchte gerade wegen der laufenden EU-Verhandlungen diplomatisch möglichst unbeschadet aus der Sache herauskommen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

BZÖ sammelt Unterschriften gegen Türkei-Botschafter
Außenpolitik

BZÖ sammelt Unterschriften gegen Türkei-Botschafter

Die Orangen starten eine Unterschriften-Aktion für die Abberufung des türkischen Botschafters in Wien. Die Unterstützungserklärungen sollen dann im Parlament behandelt werden.
bdquoDie heutige Tuerkei passt
Europa

Swoboda: "Die heutige Türkei passt nicht zu uns"

Der SPÖ-Europa-Abgeordnete Hannes Swoboda sieht Ankara gesellschaftspolitisch nicht auf dem Weg in die EU und fordert einen "Zwischenschritt".
Türkische Botschaft droht Wirtschaftskammer
Österreich

Türkische Botschaft droht Wirtschaftskammer

Wenn die Wirtschaftskammer kurdisch-stämmige Wifi-Trainerinnen nicht abzieht, würden die türkisch-österreichischen Handelsbeziehungen gestoppt. Außerdem soll der Botschafter Kontakte zu türkischen Ultra-Nationalisten pflegen.
Türkischer Botschafter: BZÖ stellt "Ultimatum"
Außenpolitik

Türkischer Botschafter: BZÖ stellt "Ultimatum"

Außenminister Spindelegger müsse den türkischen Botschafter Tezcan zur "persona non grata" erklären, fordert das BZÖ. Andernfalls will es eine Unterschriftenaktion starten.
Botschafter Popstar Tezcan eroeffnet
Innenpolitik

Botschafter als Popstar: Tezcan eröffnet Messe

Er bedauere den Wirbel um ihn, so der türkische Diplomat. Sonst hielt er sich sehr zurück. Mit seinen Aussagen habe er lediglich eine Integrationsdiskussion anregen wollen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.