Merkels Traum vom anderen Europa

Merkels Traum anderen Europa
Merkels Traum anderen Europa(c) AP (Yves Logghe)
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Im Zuge der Krise taucht der Wunsch nach einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik immer vehementer auf. Auch EU-Steuern sind kein Tabu mehr – wenn sie dazu beitragen, die Nettozahler zu entlasten.

Brüssel. Die deutsche Bundeskanzlerin ließ beim EU-Gipfel in Brüssel aufhorchen, als sie meinte: „In einem Jahr werden wir ein anderes Europa haben.“ So schnell wird es wohl nicht gehen. Nach dem Gipfel am Freitag bekundete Angela Merkel aber noch einmal dezidiert, dass sie großes Interesse an einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik habe. Auf Details ging sie freilich nicht ein. Nach den – erschöpfenden – Anstrengungen für den Lissabon-Vertrag komme man wohl nicht so rasch wieder zu einer Vertragsänderung.

Mehr Skepsis gegenüber einem europäischen Wirtschaftsraum gibt es in Österreich. Zu groß sind die Unterschiede bei Steuern oder Lohnniveaus. Illusorisch scheint, dass die Sozialpartner in vielen Ländern die Hoheit über die Verhandlung der Kollektivverträge aufgeben. Auch bei den Steuerunterschieden lassen sich die Staaten nicht gerne dreinreden, wie beim Streit um die niedrige Körperschaftsteuer der in Turbulenzen geratenen Iren zu sehen war.

Kein Lohnniveau wie in China

Bundeskanzler Werner Faymann ist durchaus dafür, gewisse Mindeststandards, zum Beispiel gegen Steuerdumping oder im Arbeitsrecht, einzuführen. Es gebe aber Kräfte in der EU, die darunter das Gegenteil von ihm verstünden. „Ich möchte in einem sozial gerechten Land Bundeskanzler sein. Ich gehöre nicht zu jener Gruppe, die die Wettbewerbsfähigkeit dadurch steigert, indem sie sich in China erkundigt, wie hoch die Löhne sind.“

Folglich taucht als dritter Weg wieder einmal eine eigene EU-Steuer auf. Zum Thema bei diesem Gipfel wurde sie nicht zuletzt wegen der britischen Bestrebungen, die Zahlungen an den EU-Haushalt einzufrieren oder zumindest nur noch an die Inflationsrate anzupassen. Damit, so Insider, steige der Druck auf Kommissionspräsident José Manuel Barroso, neue Eigenmittelquellen – z.B. Steuern – zu entwickeln. So könnte das EU-Budget doch auf einem höheren Nievau gehalten werden. Eine Idee, mit der sich vor allem Nettozahlerländer anfreunden können. Sie rechnen nämlich damit, dass dann ihr Obolus für Brüssel sinken kann.

Tabuthema Europasteuer

Vor Jahren war das noch ein absolutes Tabuthema in der EU. Weil das Steuersystem eine der wichtigsten noch verbliebenen nationalstaatlichen Domänen ist. Und weil mit EU-Steuern neue Belastungen verbunden wurden. Jetzt denkt man an eine Entlastung der Nettozahlerländer – also auch Österreichs. Bundeskanzler Faymann ist beispielsweise ein Verfechter der Finanztransaktionssteuer. Es gibt aber auch die Idee, eine EU-Steuer auf Wetten im Internet einzuführen. Ein Ansatz, der sich möglicherweise auf andere Online-geschäfte erweitern ließe. Immer wieder im Gespräch sind zudem höhere Steuern auf Flugbenzin.

Offiziell hält sich Faymann bedeckt: Schließlich äußerten die Briten ihren Wunsch zu einem sparsamen EU-Budget nur in bilateralen Kontakten. „Das ist ja inhaltlich nicht falsch. Unterschrieben ist aber nichts, jedenfalls nicht von uns.“ Der britische Premier David Cameron hatte zuvor erklärt, dass Deutschland, Frankreich und Großbritannien eine Erklärung zur EU-Haushaltsbegrenzung unterzeichnet hätten.

Dass die Krise noch lange nicht vorbei ist, dieser Illusion geben sich die europäischen Regierungschefs nicht hin. So wurden gemeinsam unter anderem neue Bankenstresstests angekündigt. Zur „weiteren Stärkung des Finanzsystems“ werde es zur „Durchführung neuer Belastungstests für Banken kommen“, hieß es im Schlussdokument.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2010)

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