Schlachtfeld Stadt: EU auf Atomterror wenig vorbereitet

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Die neue Extremistengeneration plant terroristische Anschläge mit atomaren, radiologischen, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen. Terrorexperte warnt. Das Ziel seien vor allem Großstädte Europas.

Seit dem Terroranschlag in Stockholm im Dezember und der Paketbombenserie in mehreren Städten herrscht bei europäischen Terrorabwehrkräften Großalarm. Doch während an effektiven Gegenmaßnahmen gearbeitet wird, wächst hinter den Kulissen zunehmend Sorge vor einer Eskalation des Terrors in Richtung Massenvernichtungsmittel. US-Präsident Barack Obama hat im vergangenen Jahr bei einem Atomgipfel in Washington öffentlich davor gewarnt, dass „der nukleare Terrorismus die größte akute Bedrohung für die nationale und globale Sicherheit“ sei. Und er fügte hinzu: „Al-Qaida wird keine Hemmungen haben, Massenvernichtungswaffen zu verwenden, wenn sie ihnen in die Hände fallen.“

Der österreichische Biophysiker und Experte für Atomwaffenschmuggel, Friedrich Steinhäusler, warnt im Gespräch mit der „Presse“ vor der Gefahr einer neuen Generation des Terrors, der mit atomaren, radiologischen, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen geführt werde. Das Ziel seien vor allem Großstädte in Europa. Gewappnet sei Europa dafür nur wenig, sagt Steinhäusler, der für die EU eine entsprechende Studie durchgeführt hat. Mit seinem neuen Buch „Terrorziel Europa“ will er nicht Panik erzeugen, sondern Sicherheitsdebatten anregen. Im Folgenden die wichtigsten Thesen Steinhäuslers.

1 Es ist für Terroristen relativ leicht, an Nuklearwaffen zu kommen.

In einer in den USA gegründeten und jetzt in Salzburg geführten Datenbank werden weltweit alle Schmuggelfälle von Atommaterial in den letzten Jahren dokumentiert. Fazit: In 2500 Fällen ging radioaktives Material verloren. Ob es nur Schlamperei war oder sich in den Händen von kriminellen oder Terrororganisationen befindet, ist nicht klar. Mit etwas Know-how könnten Terroristen solches Material einsatzfähig machen.

2 Der Nuklearterror wird verstärkt in die Großstädte getragen.

In seinem Buch entwirft er ein fiktives Szenario eines Anschlags in London im Jahr 2015: Mehrere Terrorgruppen haben es geschafft, waffenfähiges Uran nach England zu schmuggeln, es mithilfe von „Schläfern“ in die City zu transportieren und an strategischen Punkten zur Detonation zu bringen. Innerhalb von Zehntelsekunden breitet sich eine Hitzewelle aus, dann kommt eine Druckwelle und zerstört alle Gebäude in der Umgebung. Spitäler im Zentrum werden zerstört, große Teile der Stadt radioaktiv verstrahlt. Tausende sterben, Zehntausende flüchten aus London, das wochenlang radioaktiv kontaminiert ist.

3 Die Einsatzkräfte sind auf diesen Terror nicht vorbereitet.

Die Einsatzkräfte sind laut Steinhäusler auf konventionelle Terroranschläge ganz gut vorbereitet. Aber für strategischen Terror haben viele der 27 EU-Staaten nicht ausreichend Vorkehrungen getroffen. Es fehle an Ausrüstung und entsprechenden Notfallplänen. Zu diesem Schluss kommt eine EU-Forschungsgruppe, an der Steinhäusler teilgenommen hat (Casta-Projekt).

4 Angriff auf Donauinselfest: Ziel sind auch kleinere Länder.

Selbst kleinere, politisch nicht so bedeutende Länder sind im Visier, auch Österreich: Grund ist die Präsenz von internationalen Organisationen wie Opec oder UNO oder auch strategisch wichtigen Firmen. Erst jüngst hat WikiLeaks eine Liste von Terrorzielen veröffentlicht, unter denen auch zwei Pharmafirmen in Österreich waren. Experten haben bereits Anschläge auf die Salzburger Festspiele oder das Wiener Donauinselfest durchgespielt. Szenario: Ein „Giftbomber“ aus der Landwirtschaft wird zu einem Werbeflieger umgebaut und versprüht biologischen Kampfstoff über den feiernden Massen.

5 Europäischer Terror: Der direkte Einfluss der al-Qaida wird kleiner.

Zwar sind viele „strategische Terroristen“ von der al-Qaida beeinflusst, zunehmend kommen sie aber direkt aus Europa. So flog vor einiger Zeit die Saarlandgruppe auf, die aus konvertierten Deutschen bestand. Da es allein in Großbritannien 100.000 Konvertiten gibt, sieht Steinhäusler ein großes Potenzial.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2011)

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