Merkels Pakt für die Euroländer zerbröselt

(c) REUTERS (KACPER PEMPEL)
  • Drucken

Vor einem Monat zwangen Deutschland und Frankreich den anderen Regierungen ein Bekenntnis zu einem „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ auf. Binnen vier Wochen zerbröselte Merkels Pakt.

Brüssel. So schnell kann es gehen: Vor vier Wochen war sich Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel sicher, den Ländern der Eurozone mithilfe des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ aufgezwungen zu haben. Sechs zum Teil sehr tiefe Eingriffe in die nationale Souveränität als Gegenleistung für die deutsche Zustimmung zu etwaigen künftigen Rettungsaktionen für marode Euroländer wünschte sich Merkel, auch wenn sie sich nie zu jenem „Nichtpapier“ bekannte, das tagelang in Brüssel kreiste.

Doch binnen dieser vier Wochen zerbröselte Merkels Pakt. Denn ihre Vorhaben sind entweder politisch nicht machbar oder bereits geltendes EU-Recht. Zu allem Überdruss wird die Zusammenkunft der Chefs der Euroländer am kommenden Freitag, den 11. März, von einem EU-Sondergipfel betreffend den Bürgerkrieg in Libyen überschattet.

Was hat es mit Merkels Forderungen auf sich? Ein Überblick:

1. Abschaffung der Lohnindexierung

Diese Forderung sorgte für einiges Erstaunen. Denn Portugals Regierung, auf die sie gemünzt war, erklärte rasch, dass die portugiesischen Löhne und Gehälter ohnehin nicht mehr automatisch steigen.

2. Gegenseitige Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen

„Zur Förderung der Arbeitsmobilität“ wollte Merkel die Euroländer verpflichten, ihre Ausbildungsabschlüsse gegenseitig anzuerkennen. Klingt gut – und ist seit September 2005 geltendes EU-Recht, und zwar in Form der Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen. Sie gilt für fast alle Jobs. Und wo sie nicht gilt, gibt es spezielle EU-Normen: für Seeleute ebenso wie für Rechtsanwälte. Für die Durchsetzung dieser Rechte ist die Kommission zuständig. Sie hat alle Hände voll zu tun. Denn viele Behörden bummeln und bremsen, oft auf Druck ihrer nationalen Berufsverbände. Übrigens: 2008 hat die Kommission Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt, weil es diese Richtlinie nicht ordentlich umgesetzt hat.

3. Einheitliche Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer

Merkel will, dass die Regeln, nach denen Kapitalgesellschaften ihren steuerpflichtigen Gewinn berechnen, in allen 17 Euroländern gleich sind. Diese Forderung ist alt. Seit Jahren geht die Kommission erfolglos bei den Regierungen mit einem Konzept namens „CCCTB“ hausieren. CCCTB steht für „Consolidated Common Corporate Tax Base“. Einfach gesprochen soll jeder Konzern in der EU seinen steuerpflichtigen Gewinn so berechnen, als gäbe es keine Ländergrenzen. Die würden erst bei der Anwendung der Steuersätze, in denen das Unternehmen tätig ist, wieder hochgezogen. „Für die Unternehmen hätte diese Konsolidierung den Nutzen, dass sie Gewinne und Verluste grenzüberschreitend verrechnen können“, sagte ein hoher Beamter von Steuerkommissar Algirdas Šemeta neulich gegenüber EU-Korrespondenten. Gleichzeitig würde CCCTB die legale, für Steuerberater höchst einträgliche Trickserei mit „Transferpreisen“ beenden. Dabei verrechnen einander diverse Töchter eines Konzerns Lieferungen und Leistungen zwischen verschiedenen Ländern, um verschiedene Berechnungsgrundlagen auszunutzen. Laut Kommission geht die Hälfte der Steuerberaterkosten von Europas Konzernen dafür auf.

4. Anpassung des Rentensystems an die demografische Entwicklung

1950 kamen laut OECD in Europa auf jeden Rentner 7,5 Erwerbstätige. 2009 waren es nur mehr 2,1 Erwerbstätige. Deutschland hat sein Pensionsalter auf 67 Jahre erhöht und fordert auch von den anderen Euroländern Vergleichbares. Doch in dieser vermutlich heikelsten sozialpolitischen Frage lässt sich kein Regierungschef Anweisungen aus dem Ausland geben. Zudem sind selbst in Deutschland die Pensionen noch lange nicht gesichert. Jeder Deutsche müsste im Mittelwert rund 12.000 Euro pro Jahr sparen, um eine Rente von 70 Prozent des durchschnittlichen Lebensverdienstes zu lukrieren, sagte Alison McKie, Leiterin der Lebens- und Krankenversicherungssparte bei Swiss Re, neulich in Brüssel bei einem Seminar des European Policy Centre.

5. „Schuldenbremse“ in denVerfassungen aller Euroländer

In Deutschland greift heuer erstmals die per Verfassungsgesetz verankerte „Schuldenbremse“. Schrittweise sollen sich Bund und Länder von der Neuverschuldung verabschieden. Auch das lässt sich kein Staat von einem anderen vorschreiben. „Die Mitgliedstaaten sollten ein ambitionierteres Engagement zeigen“, heißt es nun laut der Deutschen Presse-Agentur in einem Entwurf für den Gipfel.

6. Einführung nationaler Pläne zur Rettung maroder Banken

Eine weitere verwirrende Forderung Merkels. Denn alle EU-Länder haben aus der Krise zumindest kleine Lehren gezogen und Vorkehrungen getroffen, falls ihre Banken wieder an den Rand des Abgrunds torkeln. Das könnte noch vor dem Sommer ein Thema werden: Heute, Freitag, stellt die Kommission die Spielregeln für den neuen Stresstest vor. So manche Bank wird ihn nicht bestehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.