Polen übernimmt durchaus heikle EU-Mission

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Selbst wirtschaftlich in komfortablem Zustand, müssen die Polen die Eurokrise bewältigen und den nächsten Haushalt der EU sichern. Und sie streben zumindest danach, sich als Machtfaktor ins Spiel zu bringen.

Warschau. Es gibt angenehmere Zeiten, einen EU-Ratsvorsitz zu übernehmen. Die Polen gehen ihre Halbjahresaufgabe Anfang Juli dennoch mit unaufgeregtem Selbstbewusstsein an. Man sieht sich, das 38-Millionen-Einwohner-Land, durchaus als großer Player, irgendwann sogar neben Deutschland und Frankreich. Und im Gegensatz zu ihren Vorgängern, den Ungarn, überfrachten die Polen die Präsidentschaft nicht mit komplizierten Themen (wie der Lösung der Roma-Frage) oder unverhohlenem Nationalismus. Man konzentriert sich auf das Wesentliche. Und das ist ohnehin schwierig genug: Eurokrise, Griechenland-Rettung, schlanker EU-Haushalt.

Dass die polnische Präsidentschaft einen kleinen Schönheitsfehler hat, nämlich Wahlen im Herbst, stört nicht einmal die Opposition so richtig, und schon gar nicht die Regierungspartei von Premier Donald Tusk. „Wir bereiten uns seit zwei Jahren auf die Präsidentschaft vor“, meint Łukas Abgarowicz, Abgeordneter der Bürgerplattform im polnischen Senat. Selbst eine andere, neue Regierung, womit nicht gerechnet wird, käme erst kurz vor Weihnachten und damit nur knapp vor Ende der Präsidentschaft ins Amt. Und außerdem, so der Einwand des Direktors des polnischen Instituts für internationale Angelegenheiten, Marcin Zaborowski: „Dass Belgien während seiner ganzen Präsidentschaft keine neue Regierung zustande brachte, hat auch niemanden gestört.“

Kampf um höheres EU-Budget

Und so gibt es nur eines, das Premier Tusk ein wenig stresst, wie sein EU-Staatssekretär Adam Jasser sagt: „Es ist schwer, die europäische Integration zu stärken ohne ein ordentliches Budget für den Kohäsionsfonds.“ Wie sehr Polen davon profitiert hat, ist an allen Ecken und Enden des Landes zu sehen. Man nimmt dies zwar dankbar, aber mit dem nötigen Stolz entgegen. Schließlich müsse man die EU-Förderungen kofinanzieren und sinnvoll einsetzen.

Im Zuge der Fußball-Europameisterschaft, die 2012 in Polen und der Ukraine stattfindet, werden zig Milliarden Euro in die Infrastruktur investiert. Ein nicht unerheblicher Teil davon kommt von der EU. Allein die Stadt Warschau, die derzeit eine neue U-Bahn-Linie, ein Stadion, eine Zuganbindung des Flughafens oder unzählige Autobahnkilometer baut, hat seit dem EU-Beitritt 2004 mehr als 100 Projekte für zwei Milliarden Euro zur Kofinanzierung durch die EU eingereicht. Ein knappes Zehntel ist bereits umgesetzt. Wobei, wie der im Warschauer Stadtamt zuständige Michał Olszewski zu bedenken gibt: „Das muss ja alles einmal vorfinanziert werden.“

Dass Polen das geschafft hat, wird als kleines Wirtschaftswunder gefeiert. „Die Krise hat uns nicht geholfen, aber wir haben sie besser überstanden als unsere Nachbarn. Das haben die Investoren bemerkt“, analysiert Börsepräsident Ludwik Sobolewski recht nüchtern. Faktum ist, dass das polnische Wachstum auch in härtesten Krisenzeiten nie ins Minus geriet. Und das Budgetdefizit hielt sich im Vergleich mit anderen Neo-Europäern im Rahmen. Es konnte heuer auf sechs Prozent reduziert werden. Man ist zuversichtlich, demnächst den Maastricht-Kriterien zu entsprechen. Ob man dann zum Euroraum will oder nicht, wollen die Polen selbst entscheiden. Wirtschaftsstaatssekretär Rafał Baniak nennt zwar 2015 als Ziel für die Euro-Einführung, setzt aber nach. „Wir erwarten dabei keinen Druck von den Europartnern.“

Anwalt für Ukrainer und Türken

Dass die Österreicher auf die EU manchmal eine andere Sicht haben, stört die Polen nicht. Baniak ist zum Beispiel dankbar, dass Österreich (wie Deutschland) seinen Arbeitsmarkt noch Jahre nach dem Beitritt hermetisch abgeschlossen hat: „Sonst hätten wir nur noch mehr qualifizierte Arbeiter verloren.“ Und auch punkto EU-Erweiterung sind die Polen gelassener. Sie sehen sich sogar als Anwalt der Ukrainer und der Türken. Letztere, so meint man augenzwinkernd, habe man ja schon vor Wien geschlagen. Das war 1683.

Auf einen Blick

Die polnische Ratspräsidentschaft muss sich im nächsten halben Jahr mit unangenehmen Themen befassen. Die Griechenland-Krise ist nicht ausgestanden und damit die Eurorettung nicht perfekt. Das EU-Budget steht zur Verhandlung, und damit die weitere Dotierung von Regional- und Kohäsionsfonds. Weiters werden die Beitrittsverhandlungen mit den Kroaten abgeschlossen und möglicherweise neue mit Mazedonien, Serbien und Montenegro begonnen. Die Polen wollen zudem das nächste Kapitel zum Türkei-Beitritt aufschlagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28. Juni 2011)

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