Sparpläne: Parlament sagt Ja, Bürger sagen Nein

(c) AP (Nikolas Giakoumidis)
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Das Sparprogramm in Griechenland wurde in einer "Notstandsabstimmung" beschlossen. Aber der Widerstand auf der Straße wird immer stärker. Staat und Bevölkerung stehen sich unversöhnlich gegenüber.

Athen. Es ist vollbracht: Die sozialistische Pasok unter Premier Georgios Papandreou hat Mittwochnachmittag das heftig angefeindete Sparprogramm verabschiedet. Mit dem Votum ist die Voraussetzung für die Auszahlung der fünften Tranche der Hilfskredite von EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) erfüllt – und die Staatspleite vorläufig abgewendet.

Draußen vor dem Parlament herrschten während und nach der Abstimmung bürgerkriegsähnliche Zustände. Sonderkräfte der Polizei drängten zehntausende aufgebrachte Bürger immer weiter vom Parlamentsgebäude ab und schleuderten große Mengen Tränengas in die Menge. Gewalttätige Demonstranten griffen die Beamten mit Steinen und Molotow-Cocktails an. Schon am frühen Mittwochmorgen war die Stimmung auf dem zentralen Athener Syntagma-Platz so aufgeheizt wie noch nie – auch unter denen, die nicht gewaltbereit sind.

„Sie reißen uns ins Elend“, stieß Georgia unter Tränen hervor. Eine kleine Wohnung habe sie zusammengespart, für ihren Sohn, damit der ein besseres Leben habe. Er ist jetzt arbeitslos, und die Wohnung steht kurz vor der Pfändung, weil auch Georgia ihre Arbeit als Verkäuferin verloren hat. Mit dem mittelfristigen Sparprogramm wird die Immobilie aber dennoch mit gleich drei Sondersteuern belegt.

Menschen wie Georgia, die zum ersten Mal in ihrem Leben auf die Straße gehen, haben mit allen Mitteln versucht, neue Sparmaßnahmen zu verhindern. Natürlich gibt es auch die anderen, die politischen Extremen angehören, aber das Gros stammt aus der Mitte der Gesellschaft.

Angst vor „Todesspirale“

Der Protest der Menschen richte sich gar nicht so sehr gegen die Tatsache, dass ein grundlegender Wandel im Land beschlossen werden müsse, sagt der angesehene Kommentator Jannis Pretenderis. Es sei vielmehr die Verzweiflung über das Gefühl, dass alle Anstrengungen vergeblich seien. Eine „Todesspirale“ treibe die Menschen auf die Straße, die „durch immer neue Steuerauflagen und Gehaltskürzungen die Rezession vertieft, damit zu weniger Steuereinnahmen führt, weswegen man dann erneut Steuern erhöht und Gehälter kürzt“. Dass solche Maßnahmen und die ständig neuen Kredite kein Ausweg aus der Schuldenkrise seien, kritisieren inzwischen auch seriöse Experten.

Wenn das Sparpaket auch nur annähernd umgesetzt werden soll, muss die Regierung in irgendeiner Form versuchen, die Menschen auf der Straße von seiner Notwendigkeit zu überzeugen. Der Finanzminister Evangelos Venizelos hat daher auf seiner persönlichen Website angekündigt, er wolle den Dialog mit den „Empörten“ aufnehmen, und sie ins Finanzministerium eingeladen. Er soll lieber auf den Platz kommen, wenn der unter Tränengas stehe, war die ironische Antwort der Blogger. Es gibt wohl kaum einen Bürger auf dem Syntagma, der nicht davon überzeugt ist, dass die Sicherheitskräfte die Randalierer gewähren lassen, um einen Vorwand zur Räumung der friedlichen Demonstranten zu haben.

Opposition stimmte dagegen

Der Druck der Straße hatte viele Abgeordnete in einen Gewissenskonflikt gestürzt. Es war wohl das erste Mal in Friedenszeiten, dass sich so viele Vertreter der Regierungspartei so heftig gegen ein Votum aussprachen – und dann doch mit Ja stimmten. „Ich fühle mich nicht bereit, die Verantwortung für den Zusammenbruch der Gesellschaft zu übernehmen. Ich wähle das Messer an der Schläfe – statt der Pistole“, sagte etwa Vasso Papandreou.

Was die Namensvetterin des Ministerpräsidenten meinte, brachte ihr Fraktionskollege Mimis Androulakis in fast schon literarische Form – mit der Frage, was besser sei: der Thriller über einen plötzlichen Tod oder zeitlicher Aufschub, um einen schlecht geschriebenen Roman noch etwas zu korrigieren. Selbst Finanzminister Venizelos bezeichnete das „mittelfristige Stabilitätsprogramm“, mit dem Griechenland 28 Mrd. Euro bis 2015 einsparen und über Privatisierungen 50 Milliarden gewinnen soll, als „ungerecht“. Doch es sei nationale Pflicht, es zu verabschieden, um das Land vor dem sofortigen Kollaps zu retten.

Die Opposition ließ sich von diesem Dilemma nicht beeindrucken. Bis auf eine Abgeordnete, die ihre Fraktion verließ, um mit Ja zu stimmen, votierte die größte Oppositionspartei, die konservative Nea Dimokratia, gegen das Sparprogramm. Die extreme Linke bekämpft es ohnehin.

Mehrfache Versuche von Premier Papandreou, die Nea Dimokratia mit ins Boot zu holen, sind im Vorfeld gescheitert. Parteiführer Adonis Samaras verlangte die Neuverhandlung des Sparprogramms und Steuersenkungen. Trotz des Drucks der „Troika“ von EU, EZB und IWF konnte also kein „nationaler Konsens“ hergestellt werden. Einen „Plan B“ aber hätte es, laut den wiederholten Beteuerungen der EU-Funktionäre, nicht gegeben. Immerhin hat die Regierung jetzt erst einmal Zeit gewonnen. Sie muss sie nutzen, um der „Todesspirale“ zu entkommen.

Auf einen Blick

Das griechische Parlament hat am Mittwochnachmittag dem 78-Milliarden-Euro-Sparpaket der Regierung zugestimmt. Dies war eine Voraussetzung, um eine neuerliche Zwölf-Milliarden-Euro-Tranche aus dem Hilfspaket von EU und IWF zu erhalten. In Athen gab es heftige Proteste gegen das Sparpaket, die auch zu gewalttätigen Ausschreitungen führten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2011)

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