Fall Alijew: EU-Kommissarin Reding fordert Aufklärung

(c) AP (Virginia Mayo)
  • Drucken

Das Ringen zwischen Wien und Astana um Auslieferung des Ex-Botschafters Rachat Alijew wegen des Vorwurfs von Entführung und Mord wird auch in Brüssel zum Thema. Reding werde Ministerin Karl gezielt ansprechen.

Brüssel. Wie ist es möglich, dass ein Mann, dem schwerste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, einfach so in Österreich untertauchen kann?

Diese unangenehme Frage wird Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) am 19. Juli beim informellen Treffen der EU-Justizminister im polnischen Badeort Sopot beantworten müssen. Viviane Reding, die EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, wird Karl wegen der Affäre um den früheren kasachischen Botschafter in Wien, Rachat Alijew, gezielt ansprechen, teilte ihr Büro der „Presse“ mit. „Wir versuchen herauszufinden, wo Herr Alijew ist“, sagte eine Mitarbeiterin Redings. „Wir sind besorgt darüber, dass so eine Person untertauchen kann.“

Zwei tote Bankmanager

Die Vorgeschichte: Seit Jahren versucht Kasachstan Österreich dazu zu bewegen, Alijew, den früheren Schwiegersohn von Langzeitpräsident Nursultan Nasarbajew, an die kasachische Strafjustiz auszuliefern. 2008 wurde er in Abwesenheit von einem kasachischen Gericht wegen der Entführung zweier Bankmanager zu 20 Jahren Haft verurteilt. Die beiden Männer waren 2007 verschwunden.

Im Mai 2011 wurden ihre Leichen in der Metropole Almaty gefunden. Alijew sieht sich dagegen als Opfer eines politischen Rachefeldzuges seines Ex-Schwiegervaters Nasarbajew. Wo er derzeit ist, weiß die Republik offiziell nicht. Alijew sei „nach den zur Verfügung stehenden Informationen nicht auf österreichischem Bundesgebiet. Er ist in Österreich weder aufenthalts- noch asylberechtigt“, teilte das Justizministerium Reding auf Anfrage mit. Gerüchten zufolge soll er sich auf Malta befinden.

Zu diesem Vorwurf gegen ihn kommt ein zweiter aus einer Zeit, als Alijew noch ein loyaler Gefolgsmann Nasarbajews war. Er soll 1999 einen Mann durch Folter zu einer Falschaussage genötigt haben. Dieser Mann, Peter Afanasenko, war Leibwächter des kasachischen Ministerpräsidenten Akeschan Kaschegeldin, der als Gegenkandidat zu Nasarbajew antreten wollte, daraufhin unter Druck gesetzt wurde und aus Kasachstan floh.

Kein EU-Verfahren geplant

Wegen der mutmaßlichen Folterung Afanasenkos auf Geheiß von und persönlich durch Alijew hatte bereits die Berliner Anwaltskanzlei des früheren deutschen Ministers und CDU-Politikers Lothar de Maizière bei EU-Kommissarin Reding interveniert, wie die „Presse“ am Freitag berichtete. Nun haben die Wiener Anwälte von Afanasenko auch in Österreich Strafanzeige gegen Alijew erhoben, wie die Austria Presseagentur berichtete.

Reding will von Justizministerin Karl Auskunft über den Sachstand. Rechtliche Schritte plant die Kommission aber mangels Rechtsgrundlage nicht. „Wir streben bestimmt kein Vertragsverletzungsverfahren an“, sagte Redings Mitarbeiterin.

Auf einen Blick

Rachat Alijew (Bild) ist zwei Vorwürfen ausgesetzt: Erstens soll er die Entführung zweier kasachischer Bankmanager im Jahr 2007 veranlasst haben. Die beiden Männer wurden heuer im Mai tot aufgefunden. Zweitens soll er 1999 den Leibwächter eines politischen Konkurrenten des Langzeitmachthabers Nasarbajew persönlich gefoltert haben. Nasarbajew war damals Alijews Schwiegervater, mittlerweile sind die beiden Feinde. Wo Alijew derzeit ist, weiß offiziell niemand. Gerüchteweise ist von Malta die Rede. [EPA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

ARCHIVBILD: EHEMALIGER KASACHISCHER BOTSCHAFTER RAKHAT ALIJEW
Wien

Mordverfahren um Ex-Botschafter Alijew ausgedehnt

Die Ermittlungen gegen den untergetauchten Ex-Botschafter Kasachstans wegen Entführung und zweifachen Mordes wurden ausgeweitet: Im Visier der Anklage stehen auch zwei mögliche Mittäter.
Außenpolitik

Wie die „Kasachen-Affäre“ in Brüssel in Schwung kam

Jahrelang drückten sich die Wiener Strafbehörden vor Ermittlungen gegen Rachat Alijew. Dann machten der letzte DDR-Ministerpräsident und ein CDU-Schwergewicht im EU-Parlament Druck, und hatten Erfolg.
Alijew Mord
Österreich

Alijew: Österreich leitet Verfahren wegen Mordes ein

Dem kasachischen Ex-Botschafter wird der Mord an zwei Bankmanagern vorgeworfen. In seiner Heimat ist er bereits verurteilt worden. Die heimische Justiz hat die Auslieferung bisher abgelehnt.
Rakhat Alijew
Österreich

Chronologie: Diplomatie und Justiz ringen um Alijew

Zwei Auslieferungsanträge wurden trotz einer Verurteilung in Kasachstan abgelehnt, nun beginnt in Wien ein neues Verfahren.
Außenpolitik

Kasachen-Affäre: Deutscher Druck auf Österreich

Die CDU-Männer Elmar Brok und Lothar de Maizière fordern ein Verfahren gegen Rachat Alijew. Dieser soll persönlich einen Gegenspieler gefoltert haben. Viviane Reding ersuchte das Justizministerium um Auskunft.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.