Eurokrise aus Sicht der Rechenkünstler Sarkozy und Co.

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Der Haager Ministerpräsident Mark Rutte hat sich einen schweren Patzer geleistet: Rutte hat sich verrechnet. Der Rechenfehler hat große Folgen. Deutschland rechnet währenddessen die zu erwartenden Kosten nach

Paris/Den Haag. Während Deutschland die zu erwartenden Kosten nachrechnet, soll für Frankreich die Rettung Griechenlands und des Euro schmerzlos bleiben – offiziell zumindest. Nur eine „indirekte“ zusätzliche Belastung für die öffentlichen Finanzen sei zu erwarten, sagt Premier François Fillon. Die heutige IWF-Chefin, Christine Lagarde, hatte als französische Finanzministerin stets unterstrichen, diese Kredite seien dank der zu erwartenden Zinserträge sogar ein gutes Geschäft. Und auch ihr Nachfolger, François Baroin, stimmt in diesen Zweckoptimismus ein. Er versprach, die Beteiligung an der Rettungsaktion werde völlig schmerzlos sein. Es ginge eigentlich nur um einen buchhalterischen Aspekt, Frankreich werde dadurch nicht ärmer.

Sparen käme zur Unzeit

Wenige Monate vor den Präsidentschaftswahlen wäre es sicher nicht sehr populär, einschneidende Kürzungen anzukündigen. Noch dazu, weil Staatspräsident Nicolas Sarkozy seit dem Euro-Krisengipfel als Anerkennung für seine Rolle sechs Punkte in der Volksgunst gewonnen hat – aber 64Prozent noch immer unzufrieden sind mit ihm. Unabhängig von den Verpflichtungen, die er in Brüssel eingegangen ist, hat Frankreich vor, bis 2014 das Haushaltsdefizit auf drei Prozent des BIPs zu drücken. Die Verschuldung, die sich Ende 2011 auf 85,4 Prozent belaufen und 2012 auf 86,9 Prozent steigen soll, muss daher ab 2013 deutlich abnehmen.

Seine eigenen Berechnungen stellte auch der 44-jährige Mark Rutte an, der seit vergangenen Oktober die Niederlande regiert. Der Ministerpräsident legte einen fulminanten Start hin. Doch nun hat sich der burschikos wirkende Haager Ministerpräsident einen schweren Patzer geleistet. Rutte hat sich verrechnet.

In seiner gewohnt saloppen Art erklärte Rutte, dass sich das für Griechenland neu geschnürte Rettungspaket auf 109 Milliarden Euro belaufe und dass davon 50 Milliarden die europäischen Banken übernehmen, sodass für die EU und für den Internationalen Währungsfonds IWF nur 59 Milliarden übrig bleiben. Falsch, völlig falsch, ließ die EU-Kommission verlauten. Insgesamt erhalte Griechenland 159 Milliarden Euro, 109 von EU und IWF sowie über einen Schuldenerlass etwa 50 Milliarden von den europäischen Banken.

Diese Widersprüche riefen sofort die niederländische Opposition auf den Plan. Die Abgeordneten der Sozialdemokraten, der Grünen und Sozialisten forderten Klarheit. Finanzminister Jan Kees de Jager tat dies inzwischen. In einem Brief an das Haager Parlament widersprach der Finanzminister seinem Ministerpräsidenten und musste einräumen, dass die Berechnung der EU-Kommission die richtige sei.

Mehr noch: Der Rechenfehler Ruttes hat sogar große Folgen. Statt zwei Milliarden weniger müssen die Niederlande nämlich um zwei Milliarden Euro mehr für die Griechenland-Hilfe aufwenden. Peinlich, peinlich für Rutte, der sich damit ein Eigentor geschossen hat. Sein Image ist nachhaltig beschädigt. Viele Niederländer fragen sich nun: Wie konnte unserem Ministerpräsidenten nur solch ein grober Rechenfehler unterlaufen?

Bisher blieb Rutte die Antwort schuldig. Er wird sie aber geben müssen. Denn Rutte führt eine Minderheitsregierung aus Liberalen (VVD) und Christdemokraten (CDA). Da die Freiheitspartei von Geert Wilders, PVV, die das VVD/CDA-Minderheitskabinett im Parlament toleriert, entschieden gegen weitere Finanzhilfen für Griechenland ist, braucht er nun im Parlament die Stimmen der Opposition, damit der holländische Beitrag zur EU-Hilfe für Griechenland in der Volksvertretung eine Mehrheit bekommt.

Peinlicher Fehler mit Wirkung

Die aber ist jetzt aufgrund des Rechenfehlers von Rutte unsicher geworden. Das schlimmste Szenario wäre, dass die Regierung keine Mehrheit im Parlament bekommen sollte. Dann muss Holland seinen Beitrag zur Griechenland-Finanzhilfe nämlich stoppen. In einem solchen Fall hätte Ruttes Rechenfehler Konsequenzen für die gesamte Eurozone.

Auf einen Blick

Die Griechenland-Rettung und ihre Darstellung in den einzelnen EU-Staaten ist mehr als unterschiedlich. Die Franzosen beispielsweise schwören ihren Bürgern Stein und Bein, dass sie mit keinen Auswirkungen zu rechnen hätten und das Ganze nur buchhalterischen Effekt hat. (Sarkozy samt Gefolge steht vor einem harten Wahlkampf.) Die Niederländer wiederum müssen der Entzauberung ihres bisher hochgejubelten Premiers zusehen. Er hat sich bei der Darstellung der Griechenlandhilfe peinlich verrechnet. Das könnte ihn und seine Minderheitsregierung die nötige Gefolgschaft kosten und sogar das Rettungspaket gefährden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2011)

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