Jacques Delors: „Europa steht vor dem Abgrund“

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Der Ex-Kommissionschef Jacques Delors fordert Eurobonds zur Bewältigung der Schuldenkrise. Eine europäische Wirtschaftsregierung, wie sie Merkel und Sarkozy bei ihrem Treffen vorgeschlagen haben, sei ungenügend.

Brüssel/Wien/Ag. Es sind harte Worte, die der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jacques Delors an die europäischen Spitzenpolitikern richtet: „Öffnen wir die Augen“, sagte der 86-Jährige in einem Interview für die Zeitungen „Le soir“ (Belgien) und „Le Temps“ (Schweiz), „Euro und Europa stehen vor dem Abgrund.“

Eine europäische Wirtschaftsregierung, wie sie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bei ihrem Treffen am Dienstag in Paris vorgeschlagen haben, sei jedenfalls ungenügend, um die Krise zu überwinden. Besonders Merkel, die sich von Anfang an gegen Eurobonds, also gemeinsame Staatsanleihen aller Euroländer ausgesprochen hatte, habe „wieder einmal keine Zugeständnisse“ gemacht.

„Euro kollektives Abenteuer“

Der Sozialist, in dessen Amtszeit (1985–1994) die Schaffung eines gemeinsamen EU-Binnenmarktes fiel, sieht nur einen Ausweg aus der Krise: eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit durch die Übertragung zusätzlicher Befugnisse an die EU. Die Einführung von Eurobonds hätte den Vorteil, dass durch eine teilweise Vergemeinschaftung der Staatsschulden – bis zu 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – viele Euroländer künftig niedrigere Zinsen für ihre Kredite zahlen würden.

Nun liege es an Kommissionspräsident José Manuel Barroso, die Dinge voranzutreiben, „da Merkel nicht will und Sarkozy nicht zu fragen wagt“, so Delors. Jedenfalls sei es zu einfach, Griechenland allein für die Schuldenkrise verantwortlich zu machen: „Der Euro ist ein kollektives Abenteuer. Er wurde schlecht geführt, also korrigieren wir ihn.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2011)

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