Slowakei: "Sind zur Marionette Brüssels geworden"

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Bis zu den vorgezogenen Neuwahlen im März des nächsten Jahres ist in der Slowakei nun ein politisches Vakuum zu erwarten. Wer immer in den nächsten Monaten regiert, wird keine Parlamentsmehrheit hinter sich haben.

Bratislava/Tha. Der deprimierte Abgang der Premierministerin aus dem Präsidentenpalais sprach Bände: Die sonst gegenüber den Medien so leutselige Iveta Radicova ließ sich von einem Leibwächter abschirmen und konnte sich so nach ihrem Vieraugengespräch mit dem Staatsoberhaupt an den Fotografen und Reportern vorbeidrängen. Radicova hat dem erweiterten Euro-Rettungsschirm EFSF in der Slowakei zum dramatisch erkämpften Sieg verholfen, dafür aber durch die Verknüpfung der erfolglosen ersten Abstimmung mit der Vertrauensfrage ihre eigene politische Rolle aufs Spiel gesetzt und verloren.

Präsident Ivan Gasparovic hat es ihr offensichtlich nicht gedankt, obwohl auch er immer dazu aufgerufen hatte, die Slowakei müsse ihre Mitverantwortung für Europa über Parteiinteressen stellen.

Sulik abgesetzt

Der stets eher mit dem sozialdemokratischen Oppositionsführer Robert Fico als mit Radicova auf gutem Fuß stehende Präsident verzieh der Regierungschefin nicht, dass sie noch im Vorjahr mit Slogans wie „Slowakische Rentner sollen nicht für reichere Griechen zahlen!“ selbst zu der Misere beigetragen hatte, die sie nun politisch Kopf und Kragen kostete.

Die neoliberale Partei SaS, die als Einzige aus der Regierungskoalition dem ursprünglich gemeinsamen Regierungsprogramm treu geblieben war, wurde in einem spontanen Rachefeldzug als Sündenbock aller dafür abgestraft, dass sie ein gemeinsames Ja der Koalition in der ersten Abstimmung am Dienstag verhindert hatte: SaS-Chef Richard Sulik wurde noch am Donnerstagabend, unmittelbar nach der erfolgreichen zweiten EFSF-Abstimmung, mit den Stimmen seiner drei bisherigen christlichen Koalitionspartner und der sozialdemokratischen Opposition als Parlamentspräsident abgesetzt. Sulik war auch der Einzige, der die zweite Abstimmung als Niederlage auffasste: „Das slowakische Parlament ist zum Marionettentheater geworden, das die Anweisungen aus Brüssel befolgt.“ Seine Partei erwägt eine Verfassungsklage, weil ihrer Meinung nach in der Verfassung nicht vorgesehen sei, eine gescheiterte Abstimmung zu wiederholen.

Womöglich noch von Interesse in der Europapolitik wird die von Sulik auch in einem Interview mit der „Presse“ aufgestellte Forderung, dass bei Themen wie dem Euro-Rettungsschirm vom EU-Einstimmigkeitsprinzip abgegangen werden sollte.

Bis zu den vorgezogenen Neuwahlen im März 2012 ist in der Slowakei nun ein politisches Vakuum zu erwarten. Denn die SaS will niemanden mehr als Koalitionspartner, und der sozialdemokratische Oppositionsführer Fico hat schon betont: „Wir sind Opposition und werden es bis zu den Neuwahlen bleiben.“ Wer immer in den nächsten Monaten regiert, wird also keine Parlamentsmehrheit hinter sich haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2011)

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