Achse Berlin–Paris: Das Europa der zwei

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Angela Merkel und Nicolas Sarkozy können sich nicht auf ein Vorgehen gegen die Europas Staatsschuldenkrise einigen. Das ist ihren Charakteren geschuldet – allerdings auch grundlegenden politischen Unterschieden.

Brüssel. Ist eine gemeinsame Währung das Mittel, um die wirtschaftliche Annäherung der europäischen Staaten zu bewirken? Oder müssen Europas Staaten einander wirtschaftlich annähern, um sich eine gemeinsame Währung leisten zu können? Dieser Ideenstreit prägt seit einem halben Jahrhundert das deutsch-französische Verhältnis. Er erklärt, wieso Angela Merkel und Nicolas Sarkozy im Lauf ihrer Laufbahnen in Fragen der Währungspolitik persönlich derart gegensätzlich geprägt wurden. Und er ist der Grund, wieso Berlin und Paris sich bis Sonntag nicht auf eine Lösung der Staatsschuldenkrise einigen können und darum für Mittwoch einen zweiten Krisengipfel einberufen mussten.
Der deutsche Parlamentarismus ist Anlass dafür, dass die Staats- und Regierungschefs am Sonntag entgegen ihrer Absicht keinen Plan für die Umschuldung Griechenlands und die genaue Gestaltung des Rettungsvehikels EFSF beschließen. Der Haushaltsausschuss des Bundestages will Merkel erst dann grünes Licht für Zusagen auf europäischer Ebene geben, wenn sie darüber beraten haben, wie die EFSF (die Europäische Finanzstabilitätsfazilität) ihre 440 Milliarden Euro möglichst wirkungsvoll einsetzt, um Schuldenkrisen wie jene in Griechenland, Irland und Portugal künftig vorzubeugen.
Genau hier schlägt der deutsch-französische Ideenstreit durch. Die Franzosen wollen, dass die EFSF nach dem Vorbild staatlicher Förderbanken wie der deutschen KfW eine Banklizenz bei der Europäischen Zentralbank (EZB) beantragt. Dann hätte die EFSF unbeschränkten Zugang zu den Geldmitteln der EZB. Pointiert gesagt würde dann die Zentralbank Rettungsaktionen finanzieren – ohne Obergrenze und mit dem Risiko, die ohnehin schon deutlich steigenden Preise noch weiter zu treiben.

Keine Banklizenz für das Euro-Rettungsvehikel

Die Deutschen sehen diesen Einsatz des Euro als Mittel, um Europa wirtschaftlich zusammenzuhalten, mit Grausen. Merkel, Finanzminister Wolfgang Schäuble und Vizekanzler Philipp Rösler vom Koalitionspartner FDP erklärten unisono, dass die EFSF keine Banklizenz erhalten werde. Stattdessen solle sie den Kauf der Staatsanleihen von Euroländern, die an den Märkten unter Druck geraten, gegen Zahlungsausfall versichern. Das würde die Nachfrage nach ihnen steigern, das Risiko für Euroland wäre aber im Gegensatz zum Pariser Modell begrenzt und würde die Inflation nicht antreiben.
Die gegensätzlichen Temperamente der Kanzlerin und des Président de la République erschweren jede Einigung. „Sarkozy entscheidet spontan und schnell, so wie im 18. Jahrhundert jene Offiziere, die an der Spitze ihrer Truppe die Festung stürmten“, sagt Thomas Klau vom European Council on Foreign Relations in Paris zur „Presse“. „Merkel trifft Entscheidungen nach reiflicher Überlegung und Abwägung jedes einzelnen Arguments. Sie führt ungern, sondern wartet lieber, bis sich ein Konsens gebildet hat, an dessen Spitze sie sich dann stellt.“
Frankreichs Verfassung erlaubt es Sarkozy natürlich, in der Europapolitik viel eigenmächtiger zu handeln als Merkel, die sich jeden ihrer Schritte vorab vom Bundestag absegnen lassen muss.

Sarkozys persönliches Hartwährungstrauma

Doch tiefe persönliche Erfahrungen mit der Währungspolitik prägen ihre Haltungen. Bis in die 1990er-Jahre führte Frankreich einen von Chauvinismus getriebenen und letztlich erfolglosen Kampf darum, den Kurs des Franc gleich mit der D-Mark zu halten. Paris gab Unsummen für Wechselkursinterventionen aus und erhöhte seine Staatsschuld um eine halbe Billion Euro. Budgetminister war ein junger Gaullist namens Nicolas Sarkozy. Jahre später, als die EZB eine Leitzinssenkung verweigerte, ätzte er: „Sie haben das Leben für die Spekulanten einfacher gemacht, aber schwerer für Unternehmer.“
Während Frankreich sich an der Währungspolitik abarbeitete, nutzte Deutschland den Euro, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Das wirkt sich bis zum heutigen Tag aus: Von Jänner bis Juli 2011 erzielte Deutschland in der Handelsbilanz einen Überschuss von 88,9 Milliarden Euro – und Frankreich ein Defizit von 51,2 Milliarden Euro.

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