Gipfel-Marathon: Halbzeit in Match um Zukunft der EU

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Symbolbild(c) REUTERS (RALPH ORLOWSKI)
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Was wurde in den ersten rund 72 Stunden vereinbart? Die Grundzüge der Umschuldung Griechenlands, der Stärkung der Banken und des Einsatzes des Rettungsschirms EFSF sind klar. "Die Presse" bietet einen Überblick.

Brüssel. Von Freitag bis Sonntag 22U hr dauerte die erste Etappe des Brüsseler Verhandlungsmarathons. Er soll in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag einen Schlussstrich unter die Spekulationen über Europas Staatsschuldenkrise ziehen. Was wurde in den ersten rund 72 Stunden dieses fast einwöchigen Brüsseler Kongresses vereinbart? Eine kurze Klärung der wichtigsten Fragen.

1 Bekommt das Rettungsvehikel EFSF jetzt mehr „Feuerkraft“?

Ja – indem die EFSF zumindest einen Teil der 440 Milliarden Euro, die sie für Hilfsprogramme verwenden kann, als Versicherung für den Kauf von Anleihen wackeliger Euroländer einsetzen kann. Die EFSF soll den Käufern dieser Bonds ein Fünftel bis ein Drittel (die Höhe ist noch offen) des Ausfallsrisikos abnehmen. Das soll die Nachfrage nach diesen Wertpapieren steigern und damit die Zinssätze senken, welche die Investoren den Staaten abverlangen. Offen ist, ob die EFSF selbst als Versicherung auftritt oder mit dem Internationalen Währungsfonds ein „Special Purpose Vehicle“ gründet, in das Länder mit großen Währungsreserven und ebenso großem Investitionsbedarf einzahlen. Das würde die außereuropäischen IWF-Teilhaber entlasten. Sie murren seit Längerem darüber, dass der Fonds einen Gutteil seines Geldes in die Finanzierung der Europäer steckt. Auch Norwegens staatlicher Ölfonds käme infrage. „Es ist sinnvoll, dass der IWF mit mehr Ressourcen ausgestattet wird“, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso dazu nach dem Sonntagsgipfel. „Und es ist auch sinnvoll, dass Länder mit höheren Überschüssen einen größeren Beitrag leisten.“

2 Wie geht es mit Griechenland weiter? Kommt die Umschuldung?

Ja. Die Banken bieten an, auf 40 Prozent ihrer Forderungen an Athen zu verzichten und wollen dafür im Gegenzug hohe Sicherheiten. Das empfinden die Regierungen als Affront, zumal sie davon ausgehen, dass man den Griechen mindestens 50Prozent der ausstehenden, in den Händen privater Gläubiger befindlichen Forderungen erlassen muss, um die Schuldenquote auf rund 120Prozent zu senken. Diesfalls müssten EFSF und IWF weitere 114 Milliarden Euro an Athen überweisen. Abgesehen davon ist der Ausblick für Griechenland traurig. Das Land wird noch mindestens zehn Jahre lang von Krediten der anderen Euroländer und des IWF abhängig sein („Die Presse am Sonntag“ berichtete), nächstes Jahr wird die Arbeitslosenrate mit rund 17,5 Prozent so hoch sein wie noch nie. Im schlimmsten Fall einer tiefen und langen Rezession könnte die Finanzierung bis zum Jahr 2030 rund 444 Milliarden Euro kosten.

3 Wie viel frisches Geld brauchen Europas Banken jetzt?

Etwas mehr als 100 Milliarden Euro, und es dürfte großteils ohne Staatshilfen aufgetrieben werden. Christian Noyer, Gouverneur der französischen Notenbank, sagte am Montag, Frankreichs Banken benötigten weniger als zehn Milliarden Euro, und keine Staatshilfe.

4 Wird der EU-Vertrag von Lissabon jetzt geändert?

Vorerst nicht. Bis Dezember sollen Barroso, Herman Van Rompuy, der Präsident des Europäischen Rates, und Jean-Claude Juncker, der Chef der Euro-Finanzminister, einen Bericht über die Frage erstellen, „wie die wirtschaftliche Konvergenz im Euro-Währungsgebiet weiter vorangebracht, die finanzpolitische Disziplin verbessert und die Wirtschaftsunion vertieft werden können“, wie es im Kommuniqué des Sonntagsgipfels heißt.

5 Was soll da eigentlich geändert werden?

Das wissen jene, die diese Debatte angezündet haben – allen voran Deutschland –, selbst nicht so recht. Denn auch enge Verbündete Berlins in budgetpolitischen Fragen wie Schweden, die Niederlande, Irland und Finnland halten derzeit nichts davon. Angela Merkels CDU fordert knapp vor ihrem Parteitag am 13.November, dass man künftig Länder, die sich nicht an die Regeln für Defizit und Schuldenquote halten, vor dem Gerichtshof der EU verklagen können soll, und ihnen eine „EU-Sparkommissar“ mit strengen Durchgriffsrechten vorsetzt. Ein Papier der Euroländer, das während des Gipfels am Sonntag seine Runden drehte, schlug vor, dass Kommission und Rat sich noch vor den jeweiligen Parlamenten die Haushaltsentwürfe von „Budgetsündern“ vorlegen lassen Das wären tiefe Eingriffe in nationale Hoheitsrechte – und keineswegs die Vertragsänderung „in begrenztem Umfang“, die Barroso, Van Rompuy und Juncker bis Dezember vorbereiten sollen.

6 Was ist die Haltung von Kanzler Faymann in diesen Fragen?

Wie so oft in Europafragen defensiv. Am Sonntag erklärte er, „wir als Österreich sind der Meinung, dass man die jetzigen Probleme nicht mit einer Vertragsänderung lösen kann, weil die zwei bis drei Jahre dauert.“ Damit hat er nicht unrecht, doch die wahre Sorge des Kanzlers gilt jenem Versprechen, das er am 4.November 2008 in der „Kronen Zeitung“ gemacht hat: Jede wesentliche Vertragsänderung werde die SPÖ einer Volksabstimmung unterwerfen. Zwei Jahre vor der Nationalratswahl und mit der FPÖ im Aufwind versucht Faymann, eine EU-Reformdebatte um jeden Preis zu unterbinden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2011)

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