CDU will für EU einen neuen Vertrag

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Merkel bekommt Rückendeckung für EU-Durchgriffsrechte und Finanztransaktionssteuer. Eine Absage wird lediglich der Einführung von Eurobonds erteilt.

Leipzig. Angela Merkel hat zwischen 1973 und 1978 in Leipzig Physik studiert. Am Montag versuchte sie in derselben Stadt ihr theoretisches Wissen auch in die Politik umzusetzen und der schwankenden EU ein neues, gewichtigeres Fundament zu geben. Trotz wachsender Europa-Skepsis in der Bevölkerung, trotz Vorbehalten in der eigenen Partei holte sich die deutsche Bundeskanzlerin die Rückendeckung des CDU-Parteitags für eine neue EU-Vertragsänderung und weitere Kompetenzverschiebungen an EU-Institutionen.

Gleichzeitig erteilten die deutschen Christdemokraten Vorschlägen für eine Zersplitterung der Währungsunion in einen harten Nord-Euro und einen weichen Süd-Euro eine klare Absage. 60 Prozent der deutschen Exporte gehen in die EU. Für Deutschland gebe es deshalb keine Alternative zu mehr Europa, so Merkel. „Wir müssen Schritt für Schritt eine politische Union schaffen.“

Ende einer „Lebenslüge“

Die deutsche Kanzlerin sprach von einer „Lebenslüge“, mit der Europa nicht länger existieren könne. „Bisher haben wir uns in die Situation anderer Familienmitglieder nicht eingemischt.“ So gehe es aber nicht weiter. Als Konsequenz der europäischen Schuldenkrise müsse es künftig Durchgriffsrechte auf Euroländer geben, die durch ihre Schulden die gemeinsame Stabilität gefährden. „Wir müssen eine Klagemöglichkeit gegen solche Staaten bekommen“, so Merkel. „Wir müssen eine Fiskalunion bauen“, so Finanzminister Wolfgang Schäuble.

In einem Leitantrag bekannte sich die klare Mehrheit der CDU-Delegierten zu einer weiteren Kompetenzverschiebung in Richtung EU-Institutionen:
• Ein EU-Sparkommissar soll künftig in jenen Ländern direkt auf die Haushaltspolitik eingreifen, die ihre Schulden nicht mehr im Griff haben.
• Wer den Euro-Stabilitätspakt nicht einhält, soll künftig automatisch und nicht wie bisher erst nach einer politischen Entscheidung mit Sanktionen bestraft werden.
• Der Euro-Rettungsschirm soll zu einem „Europäischen Währungsfonds“ aufgewertet werden.
• Das Krisenmanagement, das bisher vor allem zwischenstaatlich – etwa in Form einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung – entwickelt wurde, soll „mittelfristig in die EU-Verträge integriert werden“.
• Es dürfen keine Staaten mehr den Euro übernehmen, die sich nicht zuvor zu einer automatischen Schuldenbremse in Verfassungsrang verpflichtet haben.

Eine Absage wird lediglich der Einführung von Eurobonds erteilt. Merkel: „Die Vergemeinschaftung der Schulden darf es nicht geben.“

Demokratie stärken

Nachdem die CDU lange bei der Einführung einer Finanztransaktionssteuer gebremst hatte, sprach sie sich bei ihrem Parteitag nun für eine rasche Einführung der Steuer aus. „Wenn das nicht in ganz Europa geht, dann zumindest im Euroraum“, sagte Merkel in ihrer Rede und ging damit auf den vehementen Widerstand Großbritanniens ein. Im Gegenzug zu mehr Kompetenzen für die EU-Institutionen verlangt der CDU-Leitantrag aber auch eine Stärkung der Demokratie auf europäischer Ebene. „Wir wollen für die politische Union ein demokratisches Zweikammersystem“, heißt es im beschlossenen Papier. Es soll wie bisher aus dem EU-Parlament und dem EU-Ministerrat bestehen. Nicht mehr allein die Kommission, sondern beide Kammern sollen ein Initiativrecht für neue EU-weite Gesetze erhalten. Außerdem spricht sich der Parteitagsbeschluss für die direkte Wahl des Präsidenten der EU-Kommission aus.

Der CDU-Europaabgeordnete, Elmar Brok, der den Leitantrag mit entwickelt hatte, zeigte sich im Gespräch mit der „Presse“ überzeugt, dass eine solche Stärkung der EU-Institutionen auch im Interesse kleinerer Länder wie Österreich liege. Dennoch verstehe er die Vorbehalte, die es gegenüber einer neuerlichen Vertragsänderung, die wieder durch einen Konvent vorbereitet werden soll, gibt. „Die Erfahrungen mit den Verträgen von Maastricht, Amsterdam und zuletzt Lissabon haben gezeigt, wie schwierig dieser Weg ist.“

Positiv reagierte der österreichische EU-Abgeordnete, Othmar Karas (ÖVP), auf den Vorstoß der deutschen Christdemokraten: „Ich würde mir wünschen, dass auch die Volkspartei in Österreich so ein Papier vorlegt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2011)

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