Orbán verspricht: Gesetze werden „korrigiert“

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Der Ministerpräsident erklärte sich dazu bereit, die umstrittenen Gesetze zu korrigieren, und legte das auch in einem Brief an Barroso dar. Gleichzeitig versuchte er, die Kritik der EU-Kommission zu relativieren.

Strassburg. Plötzlich gibt es (fast) kein Problem mehr. Ungewohnt zahm präsentierte sich der ungarische Premierminister Viktor Orbán am Mittwoch dem Plenum im Europäischen Parlament in Straßburg. Er wolle diesen „Ort der Demokratie aus erster Hand informieren“, so Orbán, dem am Vortag von der Kommission drei Vertragsverletzungsverfahren wegen der umstrittenen politischen Einflussnahme auf wichtige Staatsorgane aufgebrummt worden waren. Die Bedenken der Kommission ließen sich „schnell und einfach“, in einigen Fällen sogar binnen weniger Tage, korrigieren. Nur in einem Punkt wollte Orban nicht einlenken: Der Präsident der Nationalbank habe den Eid auf die ungarische Verfassung zu leisten, das sei eben seine Überzeugung.

In einem Brief an Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte Orbán noch vor seiner Ansprache im Parlament seinen Willen bekundet, mit der Kommission zusammenarbeiten zu wollen. Vor dem Abgeordnetenhaus bat er in einer wenige Minuten dauernden Rede, „den Umbau des Landes im Sinne der europäischen Werte zu unterstützen“. Gleichzeitig versuchte Orbán, die Kritik der Kommission zu relativieren. Die Schwierigkeiten mit der Behörde hätten nichts mit der ungarischen Verfassung zu tun. Bisher sei kein einziger Paragraf rechtlich beanstandet worden.

EVP stellt sich hinter Orbán

Zumindest eine Parlamentsfraktion konnte Orbán schnell überzeugen: die konservative Europäische Volkspartei (EVP), größte Fraktion im Straßburger Abgeordnetenhaus. Vorsitzender Joseph Daul betonte seine Überzeugung, dass sich der Ministerpräsident der „Achtung der Rechte der Demokratie nicht entziehen“ werde.

Zwar war es keine große Überraschung, dass die EVP-Fraktion Orbán sanfter als andere Fraktionen gegenübertreten würde – ist er doch immer noch stellvertretender Vorsitzender der Europäischen Volkspartei. Dass Daul aber kein hörbares Wort der Kritik über die Situation in Ungarn über die Lippen kam, war doch nicht zu erwarten – und so geriet die rund dreistündige Debatte über und mit Orbán schnell zu einer Debatte zwischen den Konservativen auf der einen, und Sozialisten, Liberalen und Grünen auf der anderen Seite.

Der neue Vorsitzende der Sozialdemokraten, Hannes Swoboda, ging auf die Barrikaden: Die EVP sei es, die die Situation durch die Vizepräsidentschaft Orbáns doch viel besser in der Hand habe als die Kommission selbst. „Handeln Sie endlich!“, rief Swoboda seinen Kollegen zu. Und auch Daniel Cohn-Bendit von den Grünen mokierte sich: „Die gesamte Öffentlichkeit in Europa hat Kopfschmerzen, von links bis rechts, und hier sagen die EVP und Orban, dass es kein ungarisches Problem gibt. Das ist doch schizophren.“

Es ist ein Novum im Europäischen Parlament, dass ein Regierungschef seine nationale Gesetzgebung im Plenum verteidigt. Orbán selbst hatte am Dienstag um dieses Recht angesucht, und der neue Präsident Martin Schulz gewährte es ihm, „im Sinne der Demokratie“. Das Parlament müsse „ein Haus der kontroversen Auseinandersetzung“ sein, so Schulz.

Weitere Schritte möglich

Die Kommission hatte am Dienstag drei beschleunigte Vertragsverletzungsverfahren gegen Budapest eingeleitet. Dabei geht es um die Unabhängigkeit der Zentralbank, die Datenschutzbehörde und die umstrittene Herabsetzung des Pensionsalters von Richtern von 70 auf 62 Jahre. Außerdem verlangt die EU-Kommission weitere Informationen zur Unabhängigkeit der Justiz. Noch vor der Debatte am Mittwoch hatte Barroso die Bedenken der Kommission wiederholt. Er werde auch „nicht zurückschrecken, weitere Schritte zu setzen“. Doch Orban hofft aus einem anderen Grund auf eine schnelle Beilegung des Streits: Ungarn steckt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und ist auf finanzielle Hilfe von EU und IWF angewiesen.

Beinahe demütig hatten schon am Vormittag Ungarns EU-Ministerin Eniko Gyori und der EU-Abgeordnete József Szájer, immerhin einer der Gründerväter der neuen ungarischen Verfassung, um Verständnis für den ungarischen Weg gebeten: Man sei bereit, über alles zu diskutieren, jetzt, da der Regierung die Bedenken der Kommission im Detail dargelegt wurden. „Warum also dieser Skandal? Es gibt nichts zu verstecken, wir sind zu Veränderungen bereit“, so Gyori.

Auch Dänemarks Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt hatte sich am Mittwoch den Fragen der EU-Abgeordneten gestellt, allerdings im Rahmen der gerade begonnenen Ratspräsidentschaft ihres Landes. Sie betonte die Unterstützung für das Vorgehen der Kommission im Fall Ungarns.

Auf einen Blick

Ungarn ist mit drei Vertragsverletzungsverfahren konfrontiert. Die EU-Kommission kritisiert die mangelnde Unabhängigkeit von Nationalbank und Datenschutzbehörde und die Herabsetzung des Pensionsalters für Richter. Außerdem fordert die Brüsseler Behörde Informationen über den Bestellungsmodus für künftige Richter durch eine neu geschaffene Justizbehörde. Sie wird seit Kurzem von der Gattin eines engen Orbán-Vertrauten geleitet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2012)

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