Faymanns kalte Liebe zu Europa

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Rollentausch in der Regierung. Bundeskanzler Werner Faymann mimt neuerdings den "glühenden" Europäer, die ÖVP gibt sich "kritisch". Doch zwischen Wort und Tat liegen auch in der Europa-Politik oft Welten.

Wien. Wie sich die Zeiten ändern. Bei seinem Wien-Besuch am Montag hatte José Manuel Barroso einen ständigen Begleiter: Kanzler Werner Faymann wich dem EU-Kommissionspräsidenten den ganzen Tag lang nicht von der Seite – und mimte den überzeugten Europäer. Das war nicht immer so.

Als Barroso im Oktober 2009 das „Haus der Europäischen Union“ in Wien eröffnete, glänzte Faymann durch Abwesenheit. Aus Termingründen, wie es damals hieß.

In der EU-Politik der Bundesregierung scheint sich dieser Tage ein Rollentausch zu vollziehen. Faymann ist bemüht, sein Image als Europa-Skeptiker abzulegen. Vor dem EU-Gipfel Ende der Vorwoche trat der Kanzler etwa offensiv für eine Aufstockung des Euro-Rettungsschirms ein (wobei er sich in guter Gesellschaft wusste). Auf die Frage, ob Europa jetzt einen größeren Stellenwert für ihn hätte, sagte Faymann dem „Standard“: „Eine Schande ist es im Leben ja nur, wenn man nichts dazulernt.“

Machtverlust der Außenminister

Die selbst ernannte Europa-Partei ÖVP stand hingegen bei der Aufstockung auf der Bremse. Zuerst, sagte Vizekanzler Michael Spindelegger, müssten die Probleme mit Griechenland und Portugal gelöst werden. Dass davor auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel diese Position vertreten hatte, passte ins Bild: Wann immer in den vergangenen Monaten große Entscheidungen in der EU anstanden, schloss sich Spindelegger der Meinung der CDU-Politikerin an – von der Griechenland-Hilfe bis zur Finanztransaktionssteuer. Früher, zu Wolfgang Schüssels und Ursula Plassniks Zeiten, war die ÖVP noch viel stärker mit eigenen europapolitischen Ideen aufgefallen.

Das größte Manko Spindeleggers: In der Europa-Politik haben die Außenminister seit Ende 2009 so gut wie nichts mehr zu melden. Das liegt erstens an der Wirtschaftskrise: Alle wichtigen Entscheidungen über Rettungsaktionen für marode Euroländer laufen nun über die Finanzministerien. Zweitens liegt das auch daran, dass die Außenminister durch den Lissabon-Vertrag an Bedeutung verloren haben. Sie dürfen nicht mehr an den EU-Gipfeln teilnehmen. Diese sind nun tatsächlich reine Chefsache. Und Chef ist in der Wiener Regierung nun einmal der SPÖ-Vorsitzende.

Wird damit aber gleichzeitig die SPÖ zur neuen „Europa-Partei“? Tatsächlich stehen hinter Faymanns Wandlung einige Fragezeichen. In Brüssel umgebe er sich gern mit den Mächtigen Europas, heißt es dort. Sind die drängenden Entscheidungen einmal gefallen, wird es in der Regel schnell wieder ruhig um Faymanns Europa-Politik. Schwer wiegt nach wie vor auch der Brief, den Faymann nach seiner Kür zum SPÖ-Chef im Juni 2008 an die EU-kritische „Kronen Zeitung“ geschrieben hat: Alle Änderungen am EU-Vertrag müssten einer Volksabstimmung unterzogen werden.

Die Griechenland-Hilfe zeigt: Faymann hielt nicht Wort. Brav nickte die Regierung in den Vormonaten jede Anpassung des EU-Regelwerks ab, ohne dass je das Wort Plebiszit auch nur gefallen wäre.

Die Flucht der Experten

Faymanns selbst bekundeter EU-Begeisterung folgen zudem nicht immer entsprechende Taten. So stimmte der Kanzler im Juni 2011 – so wie seine 26 europäischen Amtskollegen – den Empfehlungen der Kommission zur Sanierung der nationalen Haushalte zu. Für Österreich hieße das, in den Jahren 2011 bis 2013 das Defizit doppelt so schnell wie geplant zu senken. Auf die Frage der „Presse“ interpretierte Faymann die Selbstverpflichtung aber nur so: „Es ist eine Frage, wie man eine Empfehlung auslegt. Wir legen sie so aus, dass ein stärkeres Wachstum zu mehr Einnahmen führt.“ Eine trügerische Hoffnung: Im Herbst kippte Europa in die Rezession, Österreich verlor die Bestnote für seine Kreditwürdigkeit.

Auch das Verständnis des Kanzlers für EU-Fragen ist mitunter mangelhaft. Im März 2011, nach der AKW-Katastrophe in Fukushima, holte sich Faymann in Brüssel eine Lektion in Europa-Recht. „Eine EU-Bürgerinitiative zur Frage, ob Kernenergie in der EU genutzt werden soll oder nicht, steht nicht im Einklang mit dem Vertrag“, erteilte Barroso Faymann eine Absage.

Es fehlt heute auch an EU-Expertise in Faymanns Kabinett: Europa-Experte Jürgen Meindl wurde auf den Botschafterposten nach Bern weggelobt, Harald Dossi ist seit Kurzem Parlamentsdirektor. Auch Judith Gebetsroithner könnte bald das Kabinett verlassen: Jedes Mal, wenn sich in Kommission oder Rat eine Führungsposition eröffnet, zählt sie zu den Anwärtern.

Mandatare haben es nicht leicht

Und das Verhältnis zu den Mandataren von SPÖ und ÖVP im Europa-Parlament? SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried soll mit Faymann wenigstens ein intaktes Arbeitsverhältnis haben, auch wenn der Kanzler dem Vernehmen nach nicht so gern auf „seine“ fünf Abgeordneten hört. Das gilt angeblich speziell für Hannes Swoboda, neuerdings auch Fraktionschef der EU-Sozialdemokraten. Offiziell bestätigen will das angespannte Verhältnis, das rund um den „Krone“-Brief einen Tiefpunkt erfahren hat, niemand.

Ein Problem, das auch der ÖVP bekannt ist: Delegationsleiter und Europa-Parlamentsvize Othmar Karas gilt als „Rebell“, weil er den Bogen bei EU-Anliegen regelmäßig überspannen würde. Gegen die Parteilinie forderte er etwa höhere nationale Beiträge zum EU-Budget.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2012)

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