Barroso: Deutsch-französischer Alleingang "war Fehler"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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EU-Kommissionspräsident José Barroso im "Presse"-Interview. Er sieht im Euroaustritt Griechenlands keine Lösung, würdigt Österreichs Rolle in der EU und tritt gegen eine Direktwahl für seinen Nachfolger ein.

Die Presse: Herr Präsident, wenn Sie heute 20-jährige Kinder hätten, die in Portugal oder einem der anderen Krisenländer Südeuropas lebten: Was würden Sie denen raten? Bleibt im Land, auch wenn es jahrelang Rezession und Arbeitslosigkeit gibt? Wandert aus – nach Deutschland, wo die Wirtschaft boomt? In die USA? Nach China gar?

José Barroso: Tatsächlich habe ich drei Kinder zwischen 22 und 27. Ein Sohn ist nach Großbritannien gegangen, wo er promoviert hat. Zwei machen ihre Studien in Lissabon fertig. Ich hoffe – falls sie dort bleiben möchten –, dass sie in Portugal eine angemessene Arbeit finden werden. Aber ich denke, dass Mobilität im heutigen Europa einfach dazugehört. Natürlich ist mein Fall nicht der repräsentativste. Ich bin über die Jugendarbeitslosigkeit äußerst besorgt. Darum haben wir in der Kommission eine Initiative gestartet, um Mittel aus dem europäischen Sozialfonds für Jugendprojekte umzuwidmen. Damit soll den jungen Menschen nach Ende ihrer Ausbildung die Garantie verschafft werden, entweder eine Stelle, einen angemessenen Lehrplatz oder ein Berufspraktikum zu finden. Das ist eine kurzfristige Antwort. Langfristig ist die beste Antwort auf Jugendarbeitslosigkeit, mehr Voraussetzungen für Wachstum zu schaffen.

Ihr politischer Horizont ist dabei aber das Jahr 2020. Das ist kein Trost für einen Jugendlichen, der heute arbeitslos ist.

Darum haben wir Aktionsteams gegründet, um nicht ausgegebene rund 22 Milliarden Euro aus dem EU-Sozialfonds auch kurzfristig für die berufsnahe Ausbildung dieser jungen Menschen zu verwenden. Wir tun mit den verfügbaren Ressourcen, was wir können.

Nach dem jüngsten EU-Gipfel haben Sie gesagt, dass Europa heute in einer besseren Lage wäre als vor der Krise. Mit Verlaub: Das glauben wir nicht. Die Krise ist laut allen Experten noch nicht vorüber, ein drittes Kreditpaket für Griechenland wird immer wahrscheinlicher. Und die Gemeinschaftsmethode mit ihrer Balance zwischen kleinen und großen Staaten ist durch die Krise schwer beschädigt, weil Deutschland und Frankreich das Krisenmanagement an sich gerissen haben. Woher also Ihr Optimismus?

Erstens: Ich habe nicht gesagt, dass die EU jetzt stärker ist als vor der Krise. Sondern: Ich glaube daran, dass sie aus dieser Krise stärker herauskommen wird. Und daran glaube ich wirklich. Und: Die gegenwärtige Krise ist noch nicht vorüber. Es gibt jetzt offensichtlich weniger Spannung in der Eurozone, und das aus mehreren Gründen. Nicht nur, weil die Europäische Zentralbank die Banken tatkräftig mit Liquidität versorgt. Sondern auch wegen der bekräftigten Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu Budgetdisziplin. Das veranschaulichen der neue Fiskalpakt und die Anstrengungen der Mitgliedstaaten sehr gut. Finanzielle Stabilität ist heute die Conditio sine qua non für die EU. Und das wird von allen akzeptiert.

Kleine Länder wie Österreich haben aber das Gefühl, dass sie im Entscheidungsprozess von Deutschland und Frankreich abgekoppelt wurden. Paris und Berlin haben das Krisenmanagement dominiert, auch um ihre eigenen Interessen durchzusetzen.

Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich ist unverzichtbar – aber für sich allein nicht ausreichend. Gerade die EU macht es möglich, dass kleine und mittelgroße Länder ein Wort bei der Gestaltung der Zukunft Europas mitreden können. Österreich spielt, gemessen an seiner wirtschaftlichen und demografischen Größe, eine überdimensional große Rolle. Viele unserer Initiativen beruhen auf starker Unterstützung und Führung Österreichs, zum Beispiel unser Vorschlag zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Kurzum: Frankreich und Deutschland bekommen für ihre Vorhaben mehr Visibilität, aber sie werden allesamt im europäischen Rahmen umgesetzt.

Im Oktober 2010 haben Merkel und Sarkozy am Strand von Deauville aber gezeigt, dass sie in eine völlig andere Richtung als die Kommission gehen können, wenn ihnen die Gemeinschaftsmethode gar nicht gefällt.

Ja, und nun ist offensichtlich, dass das ein Fehler war, oder?

Schon – aber Europa hat wegen des Deauville-Deals bei der Antwort auf die Finanzkrise ein Jahr verloren.

Eben. Und am Ende waren die Richtlinien und Verordnungen des „Six-Pack“ im Grunde genommen das, was die Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte. In Europa gibt es nun Einvernehmen darüber, dass es einen Schiedsrichter braucht. Darum sind die europäischen Institutionen unverzichtbar. Die Mitgliedstaaten akzeptieren die strenge Durchsetzung der gemeinsamen Regeln.


Sie haben gesagt, die Stabilität sei die Conditio sine qua non für die Eurozone. Was wollen Sie dann mit Spanien machen, das vergangene Woche den Fiskalpakt unterzeichnet hat, gleichzeitig aber der neue Premierminister bekannt gab, dass er dieses Jahr ein weit höheres Defizit erreichen wird, als er es den Europartnern versprochen hat? Er sprach von einer souveränen Entscheidung, in die sich niemand einmischen sollte.

Ich bin sicher, dass die Spanier ihren Plan zur Reduzierung des Haushaltsdefizits einhalten. Ich kann Ihnen hier allerdings keine ausreichende Antwort geben, bevor ich nicht die Zahlen gesehen habe. Wenn Premierminister Rajoy den Fiskalpakt unterzeichnet hat, wird er ihn natürlich auch einhalten müssen. Ich vertraue darauf, dass er alle Verpflichtungen einhält.

Das größte aktuelle Problem bleibt Griechenland. Was wird geschehen, wenn das Land bankrottgeht?

Wir sind überzeugt, dass Griechenland diese Krise überwinden kann. Das ist nicht allein die Einschätzung der EU-Kommission, sondern auch die der Europäischen Zentralbank und des Internationalem Währungsfonds. Deshalb haben wir gemeinsam ein weiteres Paket von 130 Milliarden Euro geschnürt. Niemand gibt so viel Geld frei, um es zu verlieren. Es ist vielmehr die optimale Möglichkeit, Griechenland dabei zu helfen, die Situation in den Griff zu bekommen. Das soll nicht heißen, dass wir uns der immensen Probleme nicht bewusst wären. Kein europäisches Land hat in der jüngsten Vergangenheit solche schmerzhaften Sanierungsmaßnahmen umsetzen müssen. Wir haben deshalb eine Taskforce eingesetzt, um Griechenland bei der Umsetzung seiner Programme zu helfen. Rund 40 Experten sind derzeit dort im Einsatz. Ich bin nicht pessimistisch. Das griechische Parlament und die Regierung haben alle wichtigen Programme mitbeschlossen. 70 Prozent der Bevölkerung unterstützen diese Maßnahmen. Auch die Bevölkerung weiß, dass es keine Alternative gibt.

Ihr Ziel ist es, Griechenland auch in Zukunft in der Währungsunion zu halten?

Ja. Und zwar nicht nur wegen Griechenland selbst. Sondern weil eine Pleite die gesamte Eurozone nämlich um vieles mehr kosten würde als eine fortgesetzte Hilfe an Athen.

Warum ist das teurer für Griechenland? Das Land könnte nach einem Austritt seine eigene Währung abwerten.

Für die griechische Bevölkerung wäre das ein Desaster. Wir wissen, wie es der Bevölkerung von südamerikanischen Ländern ging, als diese bankrottgingen. Außerdem wäre das der erste Fall, in dem wir eine folgenschwere Pleite in einem Mitgliedsland einer Währungsunion hätten. Das würde seine Auswirkungen auch auf die anderen Mitglieder haben – ein Dominoeffekt würde ausgelöst. Und es wäre wahrscheinlich, dass wir dann die Hilfe für andere Euroländer erhöhen müssten, falls Griechenland austritt.

Österreich hat vor dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls einen Staatsbankrott erlebt. Mithilfe des Völkerbundes wurde zwar der Staat saniert. Doch die Folge war ein Bürgerkrieg, weil die Armut gestiegen ist, es zu sozialen Spannungen kam. Besteht nicht eine ähnliche Gefahr in Griechenland?

Die eigentliche Frage ist doch, was ist die Alternative? Ich sehe keine zu den enormen Sparanstrengungen. Wir sehen natürlich, dass die Sparprogramme derzeit eine Rezession auslösen. Aber es geht ja auch darum, eine neue Wettbewerbsfähigkeit für das Land zu erzielen. Eine Pleite würde dazu führen, dass wir das Klima für Investitionen völlig zerstören. Dann gibt es auch kein Wachstum und keine Erholung.

Wir reden in der Krise einzig von Budgetzahlen und Wachstum. Ist das der einzige Wert Europas, der übrig geblieben ist?

Ja, das ist ein wichtiger Aspekt. Es gibt ein Europa nach der Krise. Und wir sollten uns besinnen, dass wir gemeinsame Werte haben: Friede, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit. Ich selbst glaube auch an die kulturelle Dimension Europas. Österreich ist dabei ja ein hervorragendes Beispiel. Wir brauchen deshalb nicht nur Wirtschaftsexperten, die uns Europa erklären, sondern wir brauchen auch Künstler, Intellektuelle. Wenn wir heute nur noch von schmerzhaften Reformen und Sparen sprechen, werden wir die gemeinsamen Werte aus den Augen verlieren.

Wäre Ihr Job als Präsident der Europäischen Kommission nicht einfacher, würde Ihr Gewicht gegenüber Staats- und Regierungschefs nicht aufgewertet, wenn Sie direkt gewählt wären?

Generell bin ich für alle Maßnahmen, die eine demokratische Legitimation der EU-Institutionen stärken. Im Fall der Kommission muss man hier aber die Dinge ins richtige Licht rücken. Wir haben eine funktionierende repräsentative Demokratie. Ich wurde vom Europäischen Parlament gewählt. Ich wurde zwar von den Staats- und Regierungschefs vorgeschlagen, aber von den Abgeordneten bestellt. Danach wurde die gesamte Kommission vom Parlament abgesegnet. Die Demokratisierung Europas wird nicht dadurch erreicht werden, dass wir zu diesem Zweck den Vertrag ändern. Wir müssen die Kultur der politischen Führerschaft ändern. Wir brauchen Politiker, die ihre europäische Verantwortung nicht nur im Rat in Brüssel, sondern auch daheim wahrnehmen. Statt einer Nationalisierung der europäischen Politik brauchen wir eine Europäisierung der nationalen Politik. Der Zug muss in Richtung zu mehr politischer Integration gehen, um für die Globalisierung gewappnet zu sein. Die EU-Kommission übernimmt dabei immer mehr die Rolle einer Wirtschaftsregierung. Das muss jedoch Schritt für Schritt geschehen. Ich bezweifle, dass heute schon der Moment da ist, institutionelle Änderungen wie diese vorzunehmen.

Zur Person

José Manuel Barroso ist seit November 2004 Präsident der Europäischen Kommission. Der konservative portugiesische Politiker war zuvor zwei Jahre lang Premierminister seines Landes. In dieser Zeit musste er sich – so wie seine Nachfolger – vor allem um die Sanierung des portugiesischen Staatshaushalts bemühen. Barroso wird im März
56 Jahre alt. Er ist mit der Literaturwissenschaftlerin Margarida Sousa Uva verheiratet und hat drei Söhne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2012)

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