Malmström: "Historischen Fehler begangen"

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EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström zieht eine deprimierende Bilanz aus der europäischen Flüchtlingspolitik im Arabischen Frühling. Dass Parteien auf Fremdenfeindlichkeit setzten, sei „zutiefst beklagenswert“.

Kopenhagen. Die Flüchtlingspolitik der EU-Staaten gegenüber den vom Arabischen Frühling betroffenen Ländern sei „äußerst deprimierend“ gewesen. Dass auch etablierte Parteien auf das Mittel der Fremdenfeindlichkeit setzten, sei „zutiefst beklagenswert“. Die schwedische EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, zu deren Ressort die europäische Flüchtlingspolitik gehört, zieht ein Jahr nach Beginn des Arabischen Frühlings eine bittere Bilanz über die Reaktion der europäischen Staaten.

Schon im vergangenen Sommer hatte sie den Jubel über den Arabischen Frühling als „hohl“ bezeichnet, wenn das „gleiche frohe Lachen“ nicht auch dem Empfang von Schutzbedürftigen gelte. Jetzt verstärkte sie in einem Interview mit dem Schwedischen Rundfunk (SR) die Kritik. „Wir haben auf diese fantastischen Ereignisse nicht angemessen reagiert. Alle haben den Fall der Diktatoren und die Rufe nach freien Wahlen und Menschenrechten begrüßt. Doch als Menschen von dort begannen, nach Europa zu kommen, war der Ton rasch ein anderer, und man diskutierte, wie man sie fernhalten sollte statt sie willkommen zu heißen. Da haben wir einen historischen Fehler begangen.“

Die EU habe viel getan, um Flüchtlingen aus Libyen zurück nach Bangladesch, Ägypten oder in den Irak zu helfen. „Da organisierte man blitzschnell Boote und Flugzeuge für den Heimtransport. Doch als es um die Aufnahme in Europa ging, waren wir richtig knausrig.“ Die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR habe in einem internationalen Aufruf um einen vorübergehenden Platz für 8000 Schutzbedürftige gebeten. Was die EU-Länder zustande brachten, waren 400–500 Plätze. Alle gemeinsam, alle 27. Sie habe ein Treffen aller Mitgliedstaaten arrangiert, damit sie ihre Generosität zeigen könnten. Doch viele nahmen keinen Einzigen. „Ich war sehr deprimiert“, sagte die Liberale.

Sie ist pessimistisch, dass sich dies ändern werde. Angesichts der „grauenvollen Barbarei“ in Syrien würden weiterhin viele Menschen nach Europa strömen, vor allem in die Türkei und nach Griechenland. Doch für einen koordinierten Einsatz der EU-Länder für die Asylverteilung gebe es „heutzutage keine politische Unterstützung“. Zwar zählt es zu Malmströms Agenda, noch 2012 Pläne für eine gemeinsame Asylpolitik vorzulegen. Doch nun, während des Wahlkampfs in Frankreich, „passiert gar nichts“. Dass Präsident Nicolas Sarkozy von „zu vielen Einwanderern“ spreche und deren Zahl von 180.000 auf 100.000 senken wolle, sieht die Kommissarin als „Symptom der jetzigen Lage in Europa“.

Fremdenfeindliche Rhetorik wird legitim

Die Fremdenfeindlichkeit wachse, habe in ihrer „organisierten Form größere Repräsentanz in parlamentarischen Versammlungen denn je seit dem Zweiten Weltkrieg“. Man stecke Asylsuchende, zusammengeführte Familien und Menschen, die eine bessere Zukunft suchen, ohne vielleicht das Recht auf Aufenthalt zu haben, unter einen Hut und spreche generalisierend von „illegalen Einwanderern“. So trage man dazu bei, dass fremdenfeindliche Rhetorik legitim werde, und wenn sich auch etablierte Politiker ihrer bedienten, sei dies „extrem unglücklich“.

Auf diese Weise komme ein negativer Fokus zustande, obwohl zahlreiche aktuelle Studien zeigten, dass die Bürger an dem Thema weit weniger interessiert seien, als viele Politiker glaubten. „Wir sind in einer Krise, und die Antworten, die die Bürger erwarten, gelten Jobs, Schule oder Wohlfahrt.“

Dass Sarkozy auch mit dem Austritt aus Schengen drohte, nimmt Malmström vorerst gelassen. „Im Wahlkampf ist es schwer zu wissen, wie ernst das gemeint ist. Sollte Frankreich wirklich wieder Grenzkontrollen nach Spanien oder Belgien einführen wollen? Das wirkt absurd.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2012)

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