Orbán: Verfahren gegen Ungarn landen wohl vor EU-Gerichtshof

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Die Fronten im Streit des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán mit Brüssel um die Datenschutzbehörde, niedrigeres Pensionsalter für Richter und eine Gehaltskürzung für den Notenbankchef sind verhärtet.

Brüssel. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán ist nicht bereit, im juristischen Streit mit der Europäischen Kommission um einige Aspekte seiner Staatsreform nachzugeben. Am Montag sagte er in Brüssel, dass voraussichtlich alle drei Vertragsverletzungsverfahren vor dem EU-Gerichtshof landen werden. „Diese Themen gehen sehr wahrscheinlich zum Gericht“, erklärte Orbán bei einem Vortrag am European Policy Centre. Gleichzeitig bemühte er sich, diesem Rechtsstreit die Dramatik zu nehmen. Mit der Kommission „zu diskutieren“ sei begrüßenswert, denn: „Das ist der Unterschied zwischen Brüssel und Moskau. Gegenüber Moskau konnten wir früher keine Diskussion anfangen.“ Heute, Dienstag, trifft er Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

Es geht ums Prinzip und ums Geld

Die EU-Kommission hält die Staatsreform, welche Orbáns nationalkonservative Partei Fidesz seit Sommer 2010 mit Zweidrittelmehrheit umsetzt, in drei Punkten für europarechtswidrig. Erstens verstoße die Herabsetzung des Pensionsantrittsalters von Richtern und Staatsanwälten von derzeit 70 auf 62 Jahre gegen den Gleichheitsgrundsatz. Budapest hält dem entgegen, dass 62 das vorläufige Pensionsantrittsalter für alle Ungarn sei und in Kürze ohnehin erhöht wird. Jenen Bediensteten, die durch die Herabsetzung von 70 auf 62 Jahre ihre Posten verlören, würde auf Einzelfallbasis die Weiterbestellung angeboten.

Zweitens deutet Brüssel ein neues Bezügegesetz für alle Beamten als Angriff auf die Unabhängigkeit des Gouverneurs der Notenbank. Er verdient derzeit rund acht Millionen Forint pro Monat (knapp 26.800 Euro). Das neue Bezügegesetz zieht die Höchstgrenze bei zwei Millionen Forint ein.

Drittens stößt sich die Kommission daran, dass der bisherige Datenschutzbeauftragte mit Ende 2011 sein Amt verloren hat. Seine Periode wäre noch bis 2014 gelaufen. Dass sein Amt während der laufenden Amtsperiode abgeschafft wurde, wertet die Kommission als Verstoß gegen die europarechtliche Pflicht, eine unabhängige Kontrolle des Datenschutzes herzustellen. Die ungarische Regierung hält dem entgegen, dass der Beauftragte zum 1.Jänner durch ein Amt für Datenschutz ersetzt wurde.

Das Hin und Her zwischen Budapest und Brüssel zieht sich seit drei Monaten. Was Orbán wirklich will, ist schwer zu deuten. Erst Anfang April erklärte Ungarns EU-Botschafter in Brüssel, er sei zuversichtlich, die drei Verfahren bald beenden zu können.

Abgesehen von der Frage, ob Ungarn seine Rechtspflichten erfüllt oder nicht, geht es um die Zahlungsfähigkeit des wirtschaftlich schwer angeschlagenen Landes. Die Klärung der Frage, ob die Gehaltskürzung für den Notenbankgouverneur einen Angriff auf die Unabhängigkeit der Bank darstelle, verhindert den Beginn von Verhandlungen mit der Kommission und dem Internationalem Währungsfonds (IWF) über ein Hilfsprogramm. Orbán erklärte, seine Regierung benötige nur die Zusage, im Notfall Hilfe zu erhalten. Der IWF lehne das aber ab und wolle Ungarn sofort Kredithilfe gewähren.

Diese Meinungsverschiedenheit hat einen einfachen Grund. Sobald EU und IWF Kredite gewähren, verlangen sie im Gegenzug umfassende Reformen. Orbán ist jedoch die Vorstellung, dass sich Washington und Brüssel in seine Politik einmischen, ein Graus: „Was ist das politisch Rationale?“, fragte er am Montag rhetorisch. „Das zu tun, was der Nation guttut und was die eigene politische Familie fördert.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2012)

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