EU-Spitzenjobs: Der wahre Machtkampf beginnt nach der Wahl

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Die Bestellung des nächsten Kommissionspräsidenten droht zu einem politischen Gezerre mit Geschäften und Gegengeschäften auszuarten. Im Extremfall könnte das in eine Institutionenkrise münden.

Wien/Brüssel. Der noch amtierende EU-Ratspräsident, Herman Van Rompuy, bremst, Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, gibt sich kryptisch, nur die beiden Spitzenkandidaten wirken entschlossen. Einer von ihnen – entweder Jean-Claude Juncker von der Europäischen Volkspartei (EVP) oder Martin Schulz von den Sozialdemokraten (S&D) soll der nächste Kommissionspräsident werden. Andernfalls, so lassen sie durchklingen, gibt es eine Institutionenkrise in der EU. Wird das Ergebnis der Europawahl von den Staats- und Regierungschefs nicht respektiert und die stärkste Gruppe bei der Barroso-Nachfolge berücksichtigt, steht die Maschinerie der Union still. Eine totale Blockade zwischen Rat der EU und Parlament wäre die Folge.

Auf einen Machtkampf stellen sich allerdings schon alle EU-Institutionen ein. Er könnte nur dann vermieden werden, wenn das Ergebnis der Europawahl so eindeutig ist, dass niemand um den siegreichen Spitzenkandidaten herumkommt. Danach sieht es aber derzeit nicht aus. „Letztlich – glaube ich – wird es eine der beiden werden. Aber das ist nicht in Stein gemeißelt“, sagt der Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Wien, Richard Kühnel.

Die erste Hürde bei der Bestellung des Barroso-Nachfolgers ist eine Sitzung der Fraktionschefs des Europaparlaments am Dienstag nach der Wahl. EVP-Chef Joseph Daul und S&D-Vorsitzender Hannes Swoboda werden dabei mit den anderen Fraktionsführern beraten, ob es eine ausreichende Mehrheit für einen der Kandidaten im Europaparlament gibt. Voraussichtlich wird diese noch nicht klar sein, denn die neuen Fraktionen werden sich erst bis 17. Juni bilden. Weder die EVP noch die S&D wird über eine absolute Mehrheit verfügen. Dazu kommt, dass nicht einmal feststehen dürfte, wer die stärkste Fraktion stellt. Beide politischen Gruppen könnten sich mithilfe kleinerer Parteien noch eine Mehrheit verschaffen. In Rumänien beispielsweise kandidiert erstmals die Volksbewegungspartei, die Sympathien für die EVP geäußert hat. In Bulgarien rutscht möglicherweise die neue Alternative für die Bulgarische Wiedergeburt (ABV) in das EU-Parlament. Sie möchte sich den Sozialdemokraten anschließen. Ob Juncker oder Schulz die meisten Abgeordneten hinter sich haben, wird also vielleicht erst Wochen nach der Wahl feststehen.

„Dreidimensionales Schach“

Selbst wenn die Mehrheitsverhältnisse eindeutig sind, könnte der Sieger an der nächsten Hürde der Staats- und Regierungschefs scheitern. Sie werden ebenfalls am kommenden Dienstag zu einem Abendessen zusammentreffen. In der Theorie klingt es logisch, dass sie einen der beiden nominieren. Denn viele der Anwesenden haben entweder Juncker oder Schulz mitnominiert. Aber die mächtige deutsche Bundeskanzlerin zögert nicht ohne Grund. Zwar ist im Europäischen Rat (Gipfel) nur eine qualifizierte Mehrheit für diese Personalentscheidung notwendig. Doch es wäre ein Novum, würde Großbritanniens Premier, David Cameron, der beide aussichtsreichsten Kandidaten ablehnt, überstimmt. Um doch noch seine Einwilligung zu erkaufen, könnte ein politisches Gegengeschäft notwendig werden. Deshalb dürfte es bei dem Abendessen der Staats- und Regierungschefs gleich um ein ganzes Personalpaket gehen.

„Das wird wie dreidimensionales Schach“, warnt der Kampagnenleiter von Jean-Claude Juncker. Es geht nämlich nicht nur um Cameron, sondern auch um Groß gegen Klein, Frau gegen Mann, Rot gegen Schwarz und Ost gegen West. Die Gipfelteilnehmer werden wohl viele Stunden über ein Paket beraten, das alle Seiten befriedigt. Letztlich soll nicht nur der Kommissionspräsident, sondern sollen auch der neue Ratspräsident und der künftige Außenbeauftragte nominiert werden. Wird beispielsweise Schulz Kommissionspräsident, könnte Juncker Ratspräsident werden. Für diesen Posten ist allerdings auch die dänische Ministerpräsidentin, Helle Thornig-Schmidt, im Gespräch. Zumindest einer der Spitzenposten sollte mit einer Frau besetzt werden. Als Außenbeauftragter hat sich der polnische Außenminister, Radoslaw Sikorski, angedient. Er wäre der erste Osteuropäer auf einem wichtigen EU-Posten.

Der bisherige Ratspräsident, Van Rompuy, hat Erwartungen gebremst, dass es bereits kommende Woche zu einer Einigung kommen werde. Wenn auch der reguläre EU-Gipfel Ende Juni keinen Durchbruch erzielt, wird im Juli ein neuerlicher Sondergipfel stattfinden.

Kommt über den Sommer keine Einigung zustande, droht das Machtspiel in eine virulente Krise auszuarten. Aus dem Europaparlament mehren sich Drohungen, die auf eine Verweigerung jeglicher Zustimmung hinauslaufen, sollte die Europawahl nicht ausreichend berücksichtigt worden sein. Großbritannien könnte ohne Deal weitere Entscheidungen im Rat blockieren. Die EU wäre somit institutionell völlig paralysiert.

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