Voggenhuber: "Mandatare erfüllen Aufgaben nicht mehr"

Voggenhuber Abgeordnete erfuellen ihre
Voggenhuber Abgeordnete erfuellen ihre(c) Dapd (Ronald Zak)
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Der Ex-EU-Abgeordnete Johannes Voggenhuber über Flegel im Nationalrat, den Unsinn von Strafen und die vertane Chance der Grünen beim ESM.

Die Presse: Mit der Demokratie-Initiative „Mein Österreich“ fordern Sie eine Volksabstimmung, sobald ein Volksbegehren 300.000 Unterschriften bekommen hat. Gefiele es Ihnen als früherem Parlamentarier wirklich, wenn an den Abgeordneten vorbei Gesetze entstehen?

Johannes Voggenhuber: Das tun sie doch schon. In Wahrheit haben wir eine Regierungs-, Verbände- und Parteiengesetzgebung und nicht die versprochene parlamentarische Demokratie. In Österreich gehen heute etwa neunzig Prozent aller Regierungsvorlagen durch. Und die Kontrolle der Regierung durch das Parlament ist quasi inexistent. Die Abgeordneten erfüllen ihre Aufgaben schon lange nicht mehr.

Was könnte helfen?

Mehr direkte Demokratie, die das Parlament sogar stärken würde, denn bei Gesetzesinitiativen aus dem Volk soll es laufende Verhandlungen zwischen den Initiatoren und dem Parlament geben. Helfen würde auch ein personalisiertes Wahlrecht. Wir wollen, dass die Hälfte der Abgeordneten in Einerwahlkreisen gewählt wird. Dann werden die Parteien gezwungen sein, qualifiziertere, unabhängige Personen aufzustellen, um zu gewinnen.

Zu einem Mehrheitswahlrecht hat sich „Mein Österreich“ nicht durchgerungen. Warum nicht?

Also ich will nicht, dass meine Stimme einer Partei zugerechnet wird, die ich gar nicht gewählt habe. So könnte nämlich etwa Schwarz-Blau mit weniger als fünfzig Prozent der Stimmen eine Verfassungsmehrheit erreichen. Es gibt kein Land, in dem es einmal Faschismus gegeben hat, in dem es ein Mehrheitswahlrecht gibt. Mit gutem Grund.

Zu welchen Themen sollte es Volksabstimmungen geben? Zur Wehrpflicht? Zur Demokratie?

Ich sehe keine Grenze außer den Grund- und Freiheitsrechten und dem bindenden Völkerrecht. Zu Demokratie, Bildung und sozialer Gerechtigkeit liegen schon Volksbegehren auf dem Tisch. Da muss man nichts erfinden.

Neue Steuern etwa wären kein Tabu für Sie?

Warum denn? In der Schweiz ist das Thema. Und die Angst, die Menschen würden prinzipiell gegen Steuern stimmen, ist nicht gerechtfertigt, wie sich dort gezeigt hat. Die Angst vor den großen Demagogen ist auch nicht notwendig. Siehe unsere fünfunddreißig Volksbegehren: Das waren innovative, gute Ansätze. Und dabei durchaus solide.

Halten Sie es für richtig, dass Ihre Partei, die Grünen, zuletzt mit SPÖ und ÖVP für den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM gestimmt hat?

Nein. Man hat auch nicht wirklich die Inhalte des ESM kommuniziert, der für meinen Geschmack gar nicht das Vertrauen in die Finanzmärkte stärkt und ein Demokratiedefizit aufweist. Ich habe den Grünen geraten, ihr Ja zum ESM-Vertrag, der ja in jedem Land abgesegnet werden muss, für Verhandlungen in ganz Europa zu nützen. Aber sie haben am Ende nur mit Faymann und Spindelegger verhandelt statt mit Merkel, Hollande oder Van Rompuy auf dem europäischen Parkett. Dabei hätten die Grünen dort etwa die Zusage des Rates für eine Finanztransaktionssteuer bekommen können.

Vielleicht haben sie in Österreich eine Zusage für Rot-Schwarz-Grün bekommen?

Ich hoffe, Ihr Zynismus galoppiert gerade mit Ihnen davon.

Wäre es denn eine gute Konstellation?

Na ja. Da sollte man nach den Wahlen weitersehen. Davor soll man bitte gestalten.

Neu gewählt wird nun planmäßig immer erst nach fünf statt nach vier Jahren. Wie sehen Sie das?

Negativ. Fünf Jahre Legislaturperiode können zu einer quälenden Hängepartie werden, in denen Korrekturen überfällig sind. Das Argument, dass in fünf Jahren mehr weitergehe, sehe ich in der Zeit von Faymann und Spindelegger jedenfalls nicht belegt.

Was halten Sie von Strafen für Zwischenrufer im Parlament, wie sie Präsidentin Prammer fordert?

Das ist absoluter Unsinn. Die freie Rede ist Herzstück des Parlamentarismus. Flegel verkraftet die Demokratie ganz wunderbar. Was sie nicht verkraftet wäre, wenn im Plenarsaal nicht einmal mehr von einem Verdacht geredet werden darf, was in dieser Republik geschieht. Und zwar auch, wenn der Abgeordnete keine Beweise hat. Auch von Lüge zu sprechen muss möglich sein. Der Abgeordnete muss sich nur der öffentlichen Sanktion stellen. Am ehesten bei der nächsten Wahl.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2012)

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