Gerry Foitik: "Keine Kommerzialisierung des Sozialen"

(c) APA (OESTERREICHISCHES ROTES KREUZ KR)
  • Drucken

In Tirol will der dänische Falck-Konzern den Rettungsdienst übernehmen. Gerry Foitik, oberster Sanitäter des Roten Kreuzes, spricht über beleidigte Freiwillige und Geschäftemacher im Sozialbereich.

In Tirol spitzt sich der Kampf um den Rettungsdienst zu. Der dänische Falck-Konzern ficht die Vergabe an die vom Roten Kreuz dominierte Bietergemeinschaft „Tiroler Rettungsdienst“ vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol an. Die Affäre ist vor allem für die Tiroler ÖVP peinlich und brisant. Indem sie das Rettungswesen erstmals in Österreich EU-weit ausgeschrieben hat, stellt sie das Freiwilligensystem zur Disposition. Das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Bundes-ÖVP im Zuge der Volksbefragung auf die Unterstützung der Zivildiener und freiwilligen Helfer setzt. Das Rote Kreuz „bestrafte“ das Land Tirol mit „Dienst nach Vorschrift“, worauf die Preise für den Rettungsdienst in die Höhe schnellten. Die Rechnung für diesen Konflikt zahlt der Steuerzahler. „Die Presse am Sonntag“ sprach mit dem Bundesrettungskommandanten des Roten Kreuzes, Gerry Foitik, über die Affäre und über die Konsequenzen einer Kommerzialisierung des Sozialsystems.

Wie sähe das Rettungswesen ohne Freiwillige und ohne Zivildiener aus?

Gerry Foitik: Es wäre viel teurer und viel schlechter. Selbst wenn man die Freiwilligen durch bezahlte Mitarbeiter ersetzt, wäre die Qualität schlechter. Weil es im Fall einer Katastrophe nicht nur darum geht, möglichst effizient zu sein, sondern auch möglichst effektiv zu sein. Denn außergewöhnliche Belastungen, die in Österreich alle zwei, drei Wochen stattfinden – etwa Großunfälle –, die kann man nur mit vielen Mitarbeitern bewältigen.


Trotzdem muss das ja auch finanziert werden. Und da hat man den Eindruck, dass dies in jedem Bundesland anders abläuft.

Der Eindruck stimmt.

Warum ist das so?

Das ist nun einmal Österreich. Wir haben in neun Bundesländern fünf verschiedene Finanzierungssysteme.

Warum gibt es im Rettungswesen keine Kostenwahrheit?

Weil wir kein Bäcker sind, bei dem man drei Semmeln bestellt. Bei uns wird nicht bestellt. Die Länder sagen nicht, was sie wollen, aber sie erwarten, dass es zu jeder Zeit alles gibt.

Und deshalb müssen die Rettungsorganisationen selbst festlegen, was die Länder haben wollen?

Wir legen Standards fest, etwa dass wir innerhalb von 15 Minuten bei einem Notfall sind. Aber natürlich werden wir von den Ländern kontrolliert.

Das Land Tirol hat jetzt aber genau gesagt, was es will. Es hat eine Bestellung aufgegeben und im Zuge einer Ausschreibung einen Aufgabenkatalog ausgearbeitet. Doch plötzlich ist alles teurer. Wie kann das sein?


Das ist ganz einfach. Wir sind in diesem Fall nicht mehr bereit, etwas aus eigenen Mitteln zuzuschießen.

Man gewinnt den Eindruck, Rotes Kreuz und Land Tirol erpressen sich gegenseitig.


Wenn das Land sagt: Ich übernehme das Kommando, ich bestimme alles, dann muss es auch jene Kosten übernehmen, die wir bisher selbst reingesteckt haben. Das hat nichts mit Erpressung zu tun. Das Land Tirol wollte auf den Markt gehen. Jetzt bezahlt es den marktkonformen Preis.

Und plötzlich kostet das Rote Kreuz in Tirol trotz Zivildienern und 4000 Freiwilligen fast so viel wie ein kommerzieller Rettungsdienst der Falck Group gekostet hätte.


Aber wir bieten nach den Nachverhandlungen nun eine viel höhere Leistung. Deshalb kann man die Beträge nicht vergleichen. Und darüber hinaus kann man das System der Daseinsvorsorge nicht mit dem herkömmlichen Markt vergleichen.

Die höhere Leistung hat keiner verlangt. Sie haben die Aufgaben übererfüllt. Das ist löblich, unternehmerisch aber ein Nonsens.

Ja, der Antrieb des Roten Kreuzes ist ein zivilgesellschaftlicher. Wir wollen, dass die Welt besser wird.

Wir bei der „Presse“ wollen auch alle, dass die Welt besser wird. Hilft uns bei Gehaltsverhandlungen in der Regel nicht weiter.


Ja, aber Sie haben einen Eigentümer, der Gewinne erzielen möchte. Wäre das beim Roten Kreuz auch so, würden wir vieles nicht tun, etwa auf dem Gebiet des humanitären Völkerrechts oder der Pflege.

Aber auch soziale Bereiche müssen doch schlank verwaltet und organisiert sein . . .

Ich mag keine Kommerzialisierung des Sozialen. Alles unter die Maxime der Effizienz zu stellen ist falsch. Der Markt ist kein Allheilmittel. Das hat nun zum Glück auch die marktfreundliche EU eingesehen. Es gibt viele Bereiche, in denen der Markt nicht funktioniert. Freundschaft, Solidarität, Liebe. Obwohl der Trend leider in diese Richtung geht. Junge Leute beurteilen heutzutage Freundschaft nach Nützlichkeit.

Gut, aber was ist nun der Unterschied zwischen den Weltverbesserern beim Roten Kreuz und jenen in der „Presse“?


Für uns ist das Geld Mittel zum Zweck, für Profit-Organisationen ist Geld Zweck zum Mittel. Dort geht es nur um den Return of Investment. Wir wollen hingegen eine Mission erfüllen.

In Wien fährt ein Dutzend Rettungsdienste herum. Welt verbessern und Geld verdienen muss sich nicht ausschließen.


Sie können mit allem Geld verdienen. Sie können die Bahn und die Wasserversorgung kommerzialisieren.

Und Sie finden das falsch.

Ja. Denn es geht hier um die Daseinsvorsorge. Es gibt Bereiche, da möchte ich nicht, dass jemand an mir verdient. Es ist kein Wunder, dass es in Wien unzählige Krankentransporte gibt, aber in Leibnitz nur einen. Weil dort zahlt es sich nicht aus. Rufen Sie am Sonntag um 22 Uhr bei so einem Krankentransport an. Da hören sie ein Tonband, das erklärt, dass Sie im Notfall das Rote Kreuz anrufen sollen.

Dass das Rote Kreuz Speck angesetzt hat, diesen Vorwurf lassen Sie also nicht gelten.

Freilich. Auch das Rote Kreuz hat Speck. Aber es hat einen funktionalen Speck. Der kommt der Bevölkerung zugute. Der Unterschied zwischen einem Autobusunglück in der Südoststeiermark und in Rioja ist: Bei uns ist in einer halben Stunde eine Armee an Freiwilligen dort. In Spanien warten sie auf das erste Auto eine halbe Stunde.

Mit anderen Worten: Für das Rote Kreuz haben Marktmechanismen keine Geltung.

Der Rettungsdienst ist aus einer Kombination aus Staats- und Marktversagen entstanden. Und jetzt will man mit Marktmechanismen wieder regeln.

Wenn es aber darum geht, seine Interessen durchzusetzen, weiß das Rote Kreuz um die Marktmechanismen sehr wohl Bescheid. So hat es in Tirol während des Konflikts mit dem Land einfach weniger Freiwillige eingesetzt, worauf die Kosten explodiert sind.

Wundert Sie das? Das Land Tirol hat dem Roten Kreuz und den 4000 Freiwilligen gesagt: Ihr habt das jetzt zwar 150 Jahre lang gut gemacht. Aber ich will euch nicht mehr. Ich bin auch zufrieden, wenn die Arbeit künftig von irgendwelchen Ostdeutschen erledigt wird. So kommt das an. Da wundert es mich nicht, dass dann so mancher Dienst nach Vorschrift macht.

Wer dem Roten Kreuz dreinredet, erntet Dienst nach Vorschrift?


Nein. Aber wenn Sie Ihre Leser beleidigen, werden diese das Abo stornieren. Und wer freiwillige Helfer beleidigt, darf sich nicht wundern, wenn diese sagen: Habt mich bitte gern.

Die Presse, Print-Ausgabe, 23.09.2012

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Wien

Rot-Kreuz-Affäre: Intrigen statt Hilfe

In Tirol manövriert die ÖVP das Rote Kreuz fast in den Ruin und bedient sich dabei alter Seilschaften aus Zeiten des Blaulichtskandals „Adonis“. Das Rote Kreuz hilft sich mit fragwürdigen Abrechnungsmethoden.
Wien

Tirol: Ehrenamtliche Mitarbeiter frustriert

Freiwillige Sanitäter beklagen eine Zentralisierung des Rettungswesens und zu geringe Wertschätzung für ihre Tätigkeit. Die Identifikation mit den einzelnen Ortsstellen gehe verloren.
Wien

Das Rote Kreuz: Die ÖBB mit Blaulicht

Dutzende kommerzielle Retter drängen auf den lukrativen Markt der Krankentransporte in den Ballungszentren. Eine Zulassung zum Krankentransport ist verhältnismäßig einfach zu bekommen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.