Regierungsklausur: Notgedrungen zusammengeschweißt

Faymann und Spindelegger
Faymann und SpindeleggerReuters (Karl-Peter Bader)
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SPÖ und ÖVP kämpfen gegen einen Absturz bei der Nationalratswahl und interne Unzufriedenheit. Bei der Regierungsklausur wird nach dem Tief um die Korruptionsaffären das Heil noch einmal in gemeinsamer Arbeit gesucht.

Der würdige Rahmen ist vorbereitet: Nach längerem Hin und Her werden Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger ihre Regierungskollegen am Freitag dieser Woche nun in das Konferenzzentrum in Laxenburg südlich von Wien zur Regierungsklausur bitten. Bei der letzten Klausur heuer im April auf dem Wiener Kahlenberg mussten SPÖ und ÖVP ganz unter dem Eindruck des parlamentarischen Untersuchungsausschusses und ohnehin mit Verspätung ein Transparenzpaket präsentieren, das dann erst nach mühseligem Geraufe knapp vor dem Sommer beschlossen werden konnte. Anknüpfungspunkt ist vielmehr die Klausur am Semmering im Mai 2011 mit sieben Arbeitspaketen. Damals war Spindelegger noch unverbraucht als ÖVP-Obmann und Faymann noch nicht durch seine Genossen am Parteitag abgestraft.

Erklärtes Ziel: Knapp ein Jahr vor dem regulären Termin der nächsten Nationalratswahl im Frühherbst 2013 soll (wieder einmal) die Botschaft vermittelt werden, die Devise laute längst nicht nur: alles Wahlkampf. Dieser Eindruck, dass SPÖ und ÖVP nichts mehr machen außer sich gegenseitig anzurempeln, hat sich in der Bevölkerung verfestigt, seit die beiden Regierungsparteien ihr Scheitern in Sachen Heeresreform eingestanden und die Entscheidung an die Wähler in einer Volksbefragung am 20. Jänner kommenden Jahres weitergeschoben haben. Die schrillen Töne von Rot und Schwarz für die Wehrpflicht beziehungsweise ein Berufsheer haben so manche Verhandlungserfolge der Koalition – wie die nicht mehr erwartete Einigung über die elektronische Gesundheitsakte ELGA – weit übertönt.


U-Ausschuss nachteilig. Die Minister wurden daher angehalten, auch in strittigen (Prestige-)Fragen wie den Studiengebühren eine Lösung zu finden. Daneben geht es speziell darum, angesichts der gedämpften Konjunkturaussichten erneut Signale auszusenden, dass sich die Regierung um die Anliegen der Wirtschaft und um den Kampf um Arbeitsplätze kümmert. Trotz zuletzt steigender Arbeitslosenrate kann Rot-Schwarz dies seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 auch im internationalen Vergleich dank des Sozialpartner-Tandems mit Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) auf der Habenseite verbuchen.

Das Problem für Werner Faymann wie Michael Spindelegger: In den Meinungsumfragen hat sich das nicht niedergeschlagen. Im Gegenteil: SPÖ wie ÖVP müssen sogar fürchten, noch unter die ohnehin schon historisch schlechten Nationalratswahlergebnisse von September 2008 zu fallen und im kommenden Jahr zusammen nicht einmal mehr über die 50-Prozent-Marke zu kommen. Zu stark ist der Frust der Bürger über die Politik im Allgemeinen und die amtierende Regierung im Besonderen. Fürs Regieren wäre ein zusätzlicher Partner notwendig.

Einer der Hauptgründe der Koalitionsmalaise waren die für Rot und Schwarz fatalen Begleiterscheinungen rund um den Untersuchungsausschuss im Hohen Haus: ehemalige Regierungsmitglieder samt Entourage vornehmlich aus der schwarz-blau-orangen Regierungsära, gegen die wegen Korruptionsvorwürfen Ermittlungen laufen, das Bild käuflicher Politiker, ein Bundeskanzler, der sich vor dem U-Ausschuss drückt, vier amtierende Regierungsmitglieder, bei denen die Justiz aktiv ist. Zum Drüberstreuen Schienbeintritte und offenes Misstrauen zwischen SPÖ und ÖVP.

Auch wenn die Stimmung am gemeinsamen Regierungstisch im Kanzleramt als nicht so schlecht geschildert wird, sind bei Mandataren und Funktionären von SPÖ und ÖVP Animositäten zu spüren. Gleichzeitig steigen in beiden Regierungsparteien Unmut und Nervosität wegen des fehlenden Zuspruchs in der Bevölkerung und der Nichtumsetzbarkeit bestimmter Forderungen – Vermögenssteuer bei den Sozialdemokraten oder Studiengebühren auf ÖVP-Seite.


Problem Kompromisse. Koalitionsintern wird eingestanden, dass sich die Regierung manche Erfolge gleich wieder selbst zunichtemachte. Kaum war die stufenweise flächendeckende Einführung der Neuen Mittelschule fixiert, preschte etwa Unterrichtsministerin Claudia Schmied mit dem Wunsch vor, dass das Ziel der SPÖ die Gesamtschule für 10- bis 14-Jährige sei. Ein Affront für die jetzige ÖVP-Führung.

Übereinstimmend wird bei SPÖ wie ÖVP als ein Hauptdilemma geschildert, dass es besonders schwierig sei, nach längeren Verhandlungen einen einmal erzielten Kompromiss als Verhandlungserfolg in der eigenen Partei und gegenüber den Wählern zu verkaufen. Dabei wurden auch solche erzielt – erst im heurigen Herbst etwa schneller als erwartet der Konsens über das neue Familienrechtspaket, ein gesellschaftspolitisch besonders heikles Feld. Oder das 27-Milliarden-Spar- und Steuerpaket im heurigen Februar, das ohne Proteste über die Bühne gebracht wurde. Auf Beifall dürfe man ja nicht hoffen, wenn es nichts zu verteilen gäbe. Deswegen wird auch beklagt, dass diese Regierung unter ihrem Wert geschlagen werde.

In beiden Parteien wird die Schuld, dass SPÖ und ÖVP bei den Wählern nicht mehr Anklang finden, auch den Parteichefs selbst angelastet. Bei Spindelegger wurde von Anfang an bezweifelt, ob er das nötige Charisma habe. In der Zwischenzeit versucht er, sich und seine Partei mit Grundsatzreden und als Antreiber der SPÖ bei Reformen zu profilieren. In der SPÖ gibt der fehlende Kanzlerbonus von Werner Faymann, der nach dem schwachen Votum bei seiner Wiederwahl zum SPÖ-Chef noch mehr unter Druck steht, den Genossen zunehmend zu denken. Ein Patentrezept gegen den Wählerschwund und den Zulauf zu Frank Stronach sehen selbst hochrangige Koalitionspolitiker nicht. Bei vielen habe sich aber die Erkenntnis durchgesetzt, die einzige Chance sei, das Arbeitspensum ohne viel Streit zu erledigen. Angesichts der breiter werdenden Front an Oppositionsparteien und mangels fehlender Mehrheiten bei Koalitionsalternativen würden SPÖ und ÖVP zusammengeschweißt. Bleibt abzuwarten, wie lange das angesichts der Wahlserie ab 25. November in Graz und im Frühjahr 2013 in den Ländern bis zur Nationalratswahl durchgehalten wird.

Klausuren

April 2012. Auf dem Wiener Kahlenberg hat die Regierung ein Transparenzpaket (strengere Kriterien für die Offenlegung von Parteispenden und zur Bekämpfung von Korruption) geschnürt. Im Gefolge wurde allerdings auch die öffentliche Parteienförderung erhöht.

Mai 2011. Am Semmering hat die Regierung sieben Arbeitspakete mit rund 90 Aufträgen geschnürt. Teile wie der Ausbau der Neuen Mittelschule sind auf Schiene, manches stockt, etwa ein neues Lehrerdienstrecht.

Oktober 2010.In der Therme Loipersdorf wurde ein erstes Sparpaket geschnürt: Kürzungen für Familien sorgten danach für die heftigsten Proteste.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2012)

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