Ernst Strasser: Eine österreichische Karriere

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Im Strasser-Prozess geht es nicht nur um das Fehlverhalten eines ehemaligen Innenministers, es geht um ein System, das in Österreich recht gut funktionierte und um einen skrupellosen Charakter.

Wien. Ernst Strasser war äußerst bescheiden: „Wasser, bitte, und den Ziegenkäse.“ „Als Hauptspeise? Nur den Käse?“, fragte irritiert die Kellnerin. Nicht einmal Wein wollte der EU-Abgeordnete der ÖVP haben, obwohl Österreich ja „ein Land der Trinker ist“, wie er den vermeintlichen Lobbyisten im November 2010 erklärt hatte.

Doch damit hatte sich die Bescheidenheit des ehemaligen Innenministers auch schon erschöpft. Später forderte er 100.000 Euro, wenn er für und gegen Gesetze im EU-Parlament Stimmung machen sollte. Und auch dabei war er nicht zu bescheiden: Beeinflussen müsse man so jemanden wie „Sarkozy“, damals Staatspräsident Frankreichs, „nicht Österreicher“. Denn: „Wenn die etwas sagen, dann passiert nichts.“

Die Abhörprotokolle, die die getarnten britischen Journalisten nach ihren Gesprächen mit Strasser veröffentlicht haben, sind ein bemerkenswertes Zeugnis von Arroganz, Selbstherrlichkeit, Überheblichkeit und Skrupellosigkeit. Es ist ein Stimmungsbild der Prä-Telekom-Zeit, als es „keine Gefahr war, in Österreich so zu agieren“, wie die Wiener Stadtzeitung „Falter“ schreibt. Erst seit dem Skandal um Geldflüsse an Parteien und Politiker sind die Akteure etwas vorsichtiger geworden.

In Österreich nicht strafbar

Auf der Anklagebank sitzt nicht nur Ernst Strasser, es geht um das System Österreich. Hätte Strasser als Nationalratsabgeordneter getan, weswegen er sich jetzt als EU-Abgeordneter vor Gericht verteidigen muss, er hätte kein Gesetz gebrochen. Erst ab kommendem Jahr wird es strafbar sein, für Geld Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen.

Und selbst dann bleibt das ein weites Feld. In Österreich gibt es nämlich kaum Mandatare, die nicht Interessenvertreter sind: Das geht von Bankern über Gewerkschafter und Eisenbahner bis zu den besonders stark im Parlament vertretenen Kammern (siehe nebenstehenden Bericht). Wie frei von seinem Geldgeber kann ein Abgeordneter in seinem politischen Agieren sein? Etwa Michael Ikrath (ÖVP), der im Zivilberuf Generalsekretär des Sparkassenverbandes ist, oder Wolfgang Katzian (SPÖ), Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten?

Mit dem neuen Lobbyistenregister ab 2013 wird sich hier kaum etwas ändern, nur Fälle wie jener von Kurt Gartlehner, der sich als Telekom-Sprecher der SPÖ von einem Telekom-Lobbyisten über drei Jahre 106.000 Euro (netto) für „Windpark-Projektberatung“ auszahlen ließ, werden schwerer möglich sein. Unmöglich aber werden sie weiterhin nicht sein, weil die Bestimmungen „schwammig“ sind, wie Franz Fiedler, ehemaliger Rechnungshof-Präsident und heute Österreich-Chef von Transparency International, kritisiert. Die wesentliche Frage wird sein, ab wann ein „Amtsgeschäft“ eines Politikers vorliegt – die Auslegung entscheidet auch jetzt im Fall Strasser über eine Verurteilung oder einen Freispruch.

Ein Geheimdienstkomplott?

Die Abhörprotokolle spiegeln aber auch das Charakterbild eines Mannes wider, dem „Geld wichtiger als Integrität war“, wie es die Staatsanwältin gestern formuliert hat, und der nichts Unrechtes darin gesehen hat, seine öffentliche Funktion für private Zwecke zu nützen, der in einem Umfeld politisch groß geworden ist, in dem man niemandem Rechenschaft geben musste. Strasser agierte als brutaler Machtmensch, der unter anderem ein über Jahrzehnte tiefrot besetztes Innenministerium binnen zweier Jahre schwarz umfärbte.

Was die Verteidigung des ehemaligen Innenministers betrifft, er habe ein Komplott, möglicherweise eines Geheimdienstes, aufdecken wollen – der erste Kontakt zwischen den Journalisten und Strasser fand am 11.November 2010 statt, an dem Tag, als der Fasching offiziell begann. Seite 2

Auf einen Blick

Ernst Strasser steht seit gestern wegen Bestechlichkeit vor Gericht. Der ehemalige Innenminister war auf Journalisten hereingefallen, die sich als Lobbyisten getarnt und Geld für politische Einflussnahmen geboten hatten (in Österreich wäre das nicht strafbar gewesen). Die veröffentlichten Abhörprotokolle sind ein bemerkenswertes Zeugnis von Arroganz, Selbstherrlichkeit, Überheblichkeit und Skrupellosigkeit. Ein Urteil wird im Jänner erwartet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2012)

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