Strasser-Prozess: Ein Angeklagter, der Opfer sein will

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"Die meisten Parlamentarier sind so faul wie ich." Dies enthüllte Ernst Strasser vermeintlichen Lobbyisten. Im Gerichtssaal liefen nun die Videos, die von „Sunday Times“-Journalisten aufgenommen worden sind.

Wien. Ernst Strasser muss sich beherrschen, wenn Staatsanwältin Alexandra Maruna unangenehme Fragen stellt. Er stellt dann Gegenfragen, erklärt, was im Gerichtsakt steht und was nicht. Dabei, so scheint es, wäre er am liebsten wieder der autoritäre Innenminister von damals. Und nicht der unglückliche Angeklagte, der sich von dieser Staatsanwältin Bestechlichkeit vorwerfen lassen muss.

Dienstagfrüh, kurz bevor sich der Gerichts- in einen Kinosaal verwandeln sollte, ging es um heikle Mails. Strasser – ihm wird vorgeworfen, er habe als ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament vermeintlichen Lobbyisten (in Wahrheit: verdeckten „Sunday Times“-Journalisten) die Abänderung von EU-Gesetzesvorlagen in Aussicht gestellt – hatte Anfang 2010 rege Korrespondenz mit dem Büro seines Fraktionskollegen Othmar Karas. Etwa mit Karas-Mitarbeiterin Ulrike Haidenthaller.

Es galt eine Anlegerschutzrichtlinie zu ändern – ganz im Sinne seiner Klienten, eben der beiden „Lobbyisten“. Dass Strasser dabei Karas, seinen parteiinternen Konkurrenten, umschiffte, könnte ganz pragmatische Gründe gehabt haben. Denn Strasser sagt nun selbst, ausnahmsweise unverblümt, zu Richter Georg Olschak: „Das ist in den letzten 20 Jahren nicht vorgekommen, dass Karas einen Vorschlag von mir umgesetzt hätte.“

Die Agenten „bei Laune halten“

Jedenfalls wollte der nunmehrige Angeklagte sehr dringend wissen, was das Büro Karas von dem Änderungsvorschlag halte, den er übermittelt hatte. Haidenthaller laut Protokoll (sie soll im Dezember als Zeugin aussagen): „Es war für mich ungewöhnlich, dass der Delegationsleiter mich anruft, und nicht Karas.“ Die Staatsanwältin: „Sie haben also Druck gemacht.“ Strasser: „Ich wollte Informationen.“ Mit diesen „Informationen“ habe er den „Lobbyisten“, die er für Abgesandte eines Geheimdienstes gehalten haben will, „etwas vorlügen“ wollen. Nachsatz: „Um sie bei Laune zu halten.“

Dass das Einholen von Informationen aber sehr wohl die Vorstufe zu echtem Lobbying sein kann, ergibt sich aus jenen Videos, die Ende 2010, Anfang 2011 von den beiden Undercoverjournalisten aufgenommen worden sind. Dort sagt Strasser auf die Frage, ob er Gesetzesänderungen einleiten könne: „...das ist, wenn zum Beispiel etwas Bestimmtes ins Parlament kommt, können wir versuchen, auf Leute Einfluss zu nehmen, die im Ausschuss sitzen und an diesen Belangen arbeiten, indem wir die richtigen Informationen kriegen, indem wir die Richtung kriegen, in die wir sie haben wollen, um irgendeinen kritischen Inhalt zu verändern.“ Dies zeigt: Das Sammeln von Informationen lässt sich so oder so sehen. Man sammelt sie und setzt damit den ersten Schritt für die gewünschte Änderung von Gesetzen. Oder man sammelt sie, um Geheimagenten „bei Laune“ zu halten.

Auch die Frage, warum die „Geheimdienstleute“ ihn, Ernst Strasser, auserwählt haben sollen, wurde am Dienstag vom Angeklagten erneut und mit einigem Eifer aufgegriffen: „Sie wollten mich zu einer Straftat bringen, damit ich erpressbar bin.“ Sollte der 56-Jährige, der übrigens auf die Richterfrage nach seinem Vermögen „30.000 Euro“ angibt, recht haben, wäre er das Opfer. Nicht der Täter.

Aber zurück zu den Videos im Gerichtssaal. Unter der Kategorie „Peinlichkeiten“ darf vermerkt werden, dass der Ton in einem ersten Anlauf unverständlich und in einem zweiten kaum verständlich war. Erst ein Video, das Strasser im Dezember 2010 in einem Londoner Büro der beiden als Lobbyisten getarnten Reporter zeigt, ist im Schwurgerichtssaal verständlich.

Die Videovorführung gepaart mit den ohnedies medial längst kursierenden Abschriften der von Strasser in interessantem Englisch vorgebrachten Erzählungen ergibt ein trauriges Bild: „Die meisten Parlamentarier sind so faul wie ich, die ganze Arbeit machen die Mitarbeiter“, hört man etwa das frühere Mitglied der österreichischen Bundesregierung sagen. Als Strasser seinen Preis als Lobbyist nennt, 100.000 Euro pro Jahr, schickt er voraus, „nicht wirklich ein Fan“ davon zu sein, „Stunden zu zählen und Honorarnoten zu schicken“. Fortsetzung am Donnerstag.

Neuer Prozessplan

Erst ab 11. Jänner istnunmehr mit einem Urteil zu rechnen. Der vom Angeklagten als Entlastungszeuge geführte Unternehmensberater Thomas Havranek – er sollte am 11.Dezember aussagen – ist laut Richter Olschak erst im kommenden Jahr verfügbar. Auch von den beiden verdeckt arbeitenden, englischen Journalisten hat das Gericht noch keine Rückmeldung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2012)

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