Heinz Fischer: "Ich bin wirklich ein Freund Israels"

Heinz Fischer wirklich Freund
Heinz Fischer wirklich Freund(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Bundespräsident Heinz Fischer verteidigt im Interview die Anerkennung Palästinas in der UNO, spricht über den Dissens mit dem Kanzler in der Frage der Wehrpflicht und über das Phänomen Stronach.

Herr Bundespräsident, Sie sind eher bekannt für vorsichtiges Taktieren und nicht so sehr für überbordend mutige Initiativen. Jetzt aber hat Österreich in der UNO Palästina anerkannt. Warum?

Heinz Fischer: Erstens ist die Aufwertung des Status der Palästinenser in der UNO keine überbordend mutige Initiative. Und zweitens ist Taktik kein Hauptmotiv meines Denkens und Handelns. Ich bedenke aus Überzeugung viele Gesichtspunkte bei einer Entscheidung. Ich halte es aus sachlichen Gründen für richtig und logisch, die Palästinenser bei ihrem Antrag zu unterstützen. Es hat außerdem die Mehrheit europäischer Demokratien in und außerhalb der EU zugestimmt, auch die Schweiz, auch Norwegen.


Aber Deutschland hat nicht zugestimmt.

Deutschland hat seine besonderen Gesichtspunkte und eine besondere Beziehung zu den USA, und Österreich ist ein selbstständiger Staat. Wenn Sie den Antrag von der ersten bis zur letzten Zeile durchlesen, werden Sie keinen Passus finden, der inakzeptabel wäre. In der Sache selbst gibt es kein Argument, weshalb Österreich gegen diesen Antrag stimmen sollte.

Doch. Österreich erkennt Palästina indirekt als Staat an, obwohl es kein Staat ist. Denn es sind weder die Grenzen des Territoriums in Verhandlungen festgelegt worden, noch verfügt eine Zentralgewalt über das Gebiet. In Gaza regiert die Hamas, in der Westbank Präsident Abbas.

Die Völkerrechtler und auch ich sehen das anders. Denn die UN-Generalversammlung stimmte ja nicht über die Gründung Palästinas als Staat ab, sondern über die Beziehung Palästinas bzw. der Palästinensischen Autonomiebehörde zur UNO.

Ja, aber als Staat, als Nichtmitgliedstaat mit Beobachterstatus.

Und dieser Status ist berechtigt, vor allem dann, wenn man will, dass Palästinenser und Israelis friedlich in zwei Staaten nebeneinander leben. Österreich unterstützt diesen Schritt, weil er die Zwei-Staaten-Lösung voranbringt.


Israel sagt, eine Zwei-Staaten-Lösung könne es nur auf dem Weg bilateraler Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern geben. Und so ist es auch im Oslo-Abkommen vorgesehen.

Diese Entscheidung ist ein ganz wichtiger, unverzichtbarer Schritt in Richtung solcher Verhandlungen, die ja bisher leider ohne Ergebnisse geblieben sind und zuletzt gar nicht mehr geführt wurden.


Unmittelbare Folge der Abstimmung ist, dass Israel vermutlich die Steuergelder für die Palästinenser zurückhält. Das sieht nicht nach einer neuen Dynamik im Friedensprozess aus.

Ich würde es für absolut ungerecht und falsch halten, wenn ein Staat Steuergelder, die anderen gehören, zurückhält. Die Drohung mit einem widerrechtlichen Übel kann ja kein Argument sein.


Aber es ist ein Argument, dass der unilaterale Schritt der Palästinenser ein Bruch des Oslo-Abkommens ist.

Das ist kein Bruch des Oslo-Abkommens. Dessen übergeordnetes Ziel ist es, den israelisch-palästinensischen Konflikt durch Verhandlungen zu lösen. Israels Siedlungstätigkeit, die sicher illegal ist und dem Oslo-Abkommen eindeutig widerspricht, war eines der großen Hindernisse für Verhandlungen. Wer Israel langfristig nützen will und an dessen Sicherheit denkt, muss an einem Ausgleich mit den Palästinensern arbeiten.

Und wer den Palästinensern nützen will, muss entschieden gegen die Raketenangriffe der Hamas sein.

Und wer den Interessen Israels doppelt nützen will, muss vor unverhältnismäßigen Vergeltungsschlägen der Israelis warnen, die auch viele zivile Opfer zur Folge haben.


Glauben Sie, dass Sie die Interessen Israels besser einschätzen können als die gegenwärtige Regierung in Jerusalem?

Ich glaube, dass ich mit einem Jitzhak Rabin (ehemaliger Premier, Anm.) und anderen großen Persönlichkeiten Israels vollständige Übereinstimmung erzielen würde. Der jetzige Außenminister(Avigdor Lieberman, Anm.)denkt in anderen Kategorien. Aber das heißt nicht, dass er recht hat.

Welche Kategorien meinen Sie da?

Er nimmt auf palästinensische Argumente und die menschliche Situation im Westjordanland und im Gazastreifen nicht viel Rücksicht. Das ist einer Verhandlungslösung, die auch Verständnis für die andere Seite abverlangt, nicht sehr dienlich.

Gesetzt den Fall, die Hamas löst Abbas auch im Westjordanland ab. Dann haben Sie Palästina einen Status in der UNO verliehen, der dann von der Hamas wahrgenommen wird.

Ich habe nichts dagegen, dass ein Interview in eine Diskussion übergeht. Aber der sicherste Weg, die Hamas zu stärken, ist jedenfalls, Abbas zu schwächen und an den Rand zu drängen. Wenn Europa anders gehandelt hätte und auch nicht sehr viele andere Staaten mit Ja gestimmt hätten, dann hätte das die Hamas gestärkt und Abbas geschwächt. Wer kann das wollen?

Kanzlerin Angela Merkel argumentiert ihre Haltung mit Deutschlands moralischer Verantwortung gegenüber Israel. Gilt das für Österreich nicht?

Wir haben auch unsere historische Verantwortung, die man aber mit jener Deutschlands nicht völlig gleichsetzen kann. Österreich hat Verantwortung, weil Österreicher an den Verbrechen der Nazis in einem dramatischen Ausmaß beteiligt waren. Aber das heißt ja nicht, dass wir den Deutschen alle außenpolitischen Schritte bei den Vereinten Nationen nachmachen müssen. Und es kann auch nicht heißen, dass wir Österreichs Schuld am Mord an so vielen Juden auf den Schultern der Palästinenser abladen.


Nein, aber es könnte heißen, dass man sich aus Solidarität mit Israel in solchen Situationen zurückhält. Österreich hätte sich so wie Deutschland in der UNO der Stimme enthalten können. Das wurde ja auch in der EU breit diskutiert.

Außenminister Spindelegger hat Österreichs Position klar erläutert: Österreich hätte sich an einer gesamteuropäischen Enthaltung beteiligt. Die gemeinsame Position der EU-Staaten kam nicht zustande. Deshalb stimmt Österreich nach seinem besten Wissen und Gewissen ab. Die gemäßigten Palästinenser sollen wissen, dass man auch ihre Bemühungen und Nöte sieht. Ich betrachte mich wirklich als Freund Israels. Ich habe aus Solidarität mit Israel nach Abschluss meines Studiums einen Sommer lang in einem Kibbuz in Israel gearbeitet. Ich wünsche mir, dass Israel in gesicherten Grenzen leben kann und in der Lage ist, seine Bürger zu schützen, aber das kann nicht zulasten anderer menschlicher Wesen gehen.


Mit der klassischen Neutralität ist diese Haltung natürlich nicht zu vereinbaren.

Einspruch: Neutralität bezieht sich primär auf zwei Krieg führende Staaten. Unsere Neutralität hat uns nie gehindert, auch in den 1970er- und 1980er-Jahren nicht, in der UNO eine profilierte friedensorientierte Politik zu verfolgen. Neutralität heißt ja nicht, dass wir keine Meinung haben und ein profilloser Staat sind, der sich überall dort, wo es Meinungsverschiedenheiten gibt, der Stimme enthält. Es hat ja sogar die Schweiz mit Ja gestimmt.


Interessant, dass Österreich ausgerechnet in Bezug auf Israel Meinungsstärke entwickelt.

Wir haben auch in vielen anderen Bereichen Farbe bekannt und werden das auch in Zukunft tun.


Es hätte zur Palästina-Frage ein Treffen zwischen Ihnen, Spindelegger und Faymann geben sollen, das der Kanzler abgelehnt hat. Ist das richtig?

Ich habe mehrmals mit dem Bundeskanzler persönlich geredet und telefoniert und auch mehrmals mit dem Außenminister Kontakt gehabt. Das war sehr harmonisch.

Aber es gab kein Sechsaugengespräch zu dem Thema?

Nein.

Warum nicht? Wäre das nicht einfacher, als kreuz und quer zu telefonieren?

Die Kontakte zu diesem Thema haben ja schon im September begonnen, als Spindelegger und ich gemeinsam bei der UNO in New York waren. Dann hat mir Abbas im Oktober einen Brief geschrieben. Ich habe überlegt, ob ich den Brief gleich beantworten soll. Aber da war die Situation noch sehr im Fluss.


Was stand in dem Brief?

Er bat um die Zustimmung Österreichs.


Und Sie wollten damals schon antworten?

An sich beantwortet man Briefe. Ich habe mich aber entschlossen, zunächst nicht zu antworten, denn ich hätte zu diesem Zeitpunkt nur schreiben können, dass wir das Thema sehr sorgfältig und objektiv prüfen und auch mit anderen EU-Staaten diskutieren.

Vielleicht hätte man bei diesem Sechsaugengespräch auch gleich klären können, dass Österreich beim EU-Budget mit einer Stimme spricht.

Ein Sechsaugengespräch hat – wie schon gesagt – nicht stattgefunden. In Sachen EU-Budget hat es nun gleichsam eine erste Lesung in Brüssel gegeben. Die Gespräche werden fortgesetzt.

Sind Sie zufrieden mit der Zusammenarbeit des Bundeskanzlers und Vizekanzlers in einer so wichtigen Frage?

Ja. Es wird darauf hinauslaufen, dass Österreich seine Interessen bestmöglich vertritt. Wann man zum ersten Mal das Wort Veto in den Mund nimmt, ist eine Temperamentsfrage.

Und wie beurteilen Sie die Leistung dieser Bundesregierung sonst?

Österreich liegt auf vielen Gebieten in einer schwierigen Zeit gut im europäischen Vergleich. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit, eine gute Exportquote, ein hohes BIP pro Kopf. Dass wir in Österreich derzeit mit Korruptionsfällen große Probleme haben, wissen alle. Auch in der Forschungs- und Bildungspolitik müssen wir uns noch viel mehr anstrengen. Aber ich sehe meine Aufgabe nicht darin, als „Schuldirektor“ Noten zu verteilen, sondern eher darin, zu ermuntern, zu ermutigen und auch in persönlichen Gesprächen den einen oder anderen Ratschlag zu geben. Und ich werde alles tun, um Konflikte in unserer Gesellschaft oder in Institutionen unserer Gesellschaft auszugleichen und zu entspannen.


Aber Sie haben Ihren eigenen Konflikt mit dem Bundeskanzler.

Sicher nicht.


In Sachen Wehrpflicht auch nicht?

We agree to disagree. Unterschiedliche Meinungen müssen kein Konflikt sein und sind es auch nicht.

Mir ist kein anderes Land bekannt, in dem Sicherheitspolitik keine Konsensmaterie ist. Dass in der Konsensrepublik Österreich ausgerechnet darüber eine Volksabstimmung abgehalten wird, ist doch ziemlich seltsam.

Die großen Linien sind ja unumstritten. Wir bekennen uns zur Landesverteidigung, zur Neutralität, zur Teilnahme an europäischer Sicherheitspolitik, zu friedensschaffenden und -erhaltenden Maßnahmen in der UNO. Wo es einen Dissens gibt, den ich mir nicht gewünscht und auch nicht zu verantworten habe, ist die Frage: Soll man die sicherheitspolitischen Aufgaben, über die wir uns im Großen und Ganzen einig sind, auf Basis der Wehrpflicht oder eines Berufsheeres wahrnehmen? Je klarer die Entscheidung ist, die am 20.Jänner fällt, desto besser. Und dann wird die Politik auf die Probe gestellt, weil sie die Entscheidung A oder B in sinnvoller Weise umsetzen muss. Das heißt: Sinnvolle Reformen muss es auf jeden Fall geben.

Werden Sie darüber wachen? Denn wenn der Verteidigungsminister ein Ergebnis umsetzen muss, das ihm gegen den Strich geht, ist das eine relativ ambitionierte Aufgabe.

Ich werde mich, nachdem mein Standpunkt ohnehin klar ist, nicht in die Entscheidungswerbung einschalten. Aber wenn eine Entscheidung vorliegt, werde ich dazu Stellung nehmen und auch darauf drängen, dass eine zeitgemäße Sicherheitsdoktrin verabschiedet wird und die österreichische Landesverteidigung wieder so Tritt fasst, dass sich alle darauf verlassen können.


Das heißt, sie ist etwas außer Tritt geraten?

Sie ist in einer wichtigen Entscheidungsphase, und das Parlament hat eine Sicherheitsdoktrin bisher nicht verabschiedet.


Sieht man sich die Umfragen an, hat man eine italienische Entwicklung in Zeitlupenformat vor sich: Das Parteienspektrum zerfranst an den Rändern. In Graz kommt die KPÖ auf Platz zwei, Stronach liegt in Umfragen sehr gut: Was ist das?

Die KPÖ hat in Graz schon einmal vor zehn Jahren 20 Prozent erreicht. Das ist ein spezielles Grazer Phänomen. Die Kommunistische Partei hat dort Exponenten, die in einer für viele Menschen akzeptablen Weise soziale Themen in den Vordergrund rücken und dabei überzeugend arbeiten. Gleichzeitig hat sich die Grazer Sozialdemokratie, die seit dem Rücktritt Stingls nicht Tritt fassen konnte, in der Nachfolgefrage so zerstritten, dass sie jetzt unter der 20-Prozent-Marke liegt.


Aber halten Sie es nicht für eine Verharmlosung der KPÖ, wenn sie stets nur als nette Partei dargestellt wird, die sich freundlich um die Leute kümmert? Offenbar wissen manche nicht, wofür das „K“ steht.

Verharmlosen kann man nur etwas, das gefährlich ist. Und ich glaube nicht, dass Frau Kahr in Graz eine Gefahr für die Demokratie oder den Rechtsstaat oder für die Stabilität unseres Landes ist. Der Kommunismus hat in Österreich seit mehr als 50 Jahren keine Chance mehr.


Wenn ein FPÖ-Politiker 20 Prozent in Graz erreicht hätte, würden Sie anders reden.

Wenn FPÖ-Politiker ausländerfeindlich agieren und deswegen sogar vor Gericht müssen, dann ja. Wenn auch Frau Kahr verurteilt werden sollte, würde ich genauso reagieren wie bei Frau Winter.

Den Herrn Stronach haben Sie elegant übergangen. Weil er für Sie nur ein Zeitphänomen ist, oder weil er Ihrer Reaktion nicht würdig ist?

Ich muss nicht alle politischen Akteure kommentieren. Das ist ja Ihre Aufgabe.


Sie müssen ihn vielleicht irgendwann einmal angeloben, das muss ich wieder nicht.

Soll ich Sie dann um Rat fragen?

Bitte nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2012)

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