Strassers "Paranoia": Lauschangriff auf das EU-Büro?

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Tag fünf im Prozess gegen Ernst Strasser zeigte, dass die Angst vor Spionen oft missinterpretiert wird. Auch Peter Gridling, Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, war Zeuge.

Wien. Ernst Strasser scheint ein wirklich misstrauischer Mensch zu sein. Gleich fünf Frauen, allesamt früher Mitarbeiterinnen/Assistentinnen oder Praktikantinnen in dessen EU-Büros in Brüssel oder Wien sagten am Dienstag (dem fünften Verhandlungstag) als Zeuginnen aus. Eine Frau tat dies live in Brüssel – per Videokonferenz. Und alle fünf sprachen von einem diffusen Geheimdienstverdacht ihres früheren Chefs.

Daniela K. (31) – sie leitete Strassers Wien-Büro und huschte nun mit einem Schal ums Gesicht zum Gerichtssaal – verriet, ihr Chef habe eines Tages „auf einen Zettel gekritzelt“, dass sein Büro vielleicht „abgehört wird“. Zeugin K. dazu: „Ich fand das etwas paranoid.“

Dies würde doch gut zu Strassers Verteidigung passen: Nein, er sei nicht bestechlich, er habe vielmehr jene beiden Leute, die sich als Lobbyisten der (in Wahrheit nicht existenten) Agentur „Bergman & Lynch“ ausgaben, als mutmaßliche Agenten auffliegen lassen wollen. Daher – und nicht wegen der Aussicht auf 100.000 Euro Beratungshonorar im Jahr – habe er die beiden Ende 2010, Anfang 2011 mehrmals getroffen. Allerdings: Die Befürchtungen ihres Ex-Chefs, so sagen die Zeuginnen, hätten sich hauptsächlich gar nicht um die beiden „Lobbyisten“ gedreht. Vielmehr sei es wohl um das Kippen des Swift-Abkommens (Austausch von Bankdaten mit den USA) gegangen, an dem sich Österreich im EU-Parlament beteiligt hatte. Schon damals (Zeugin Kerstin M., 31: „Es muss im Frühjahr 2010 gewesen sein“) habe Strasser befürchtet, „dass ihn ein Geheimdienst beobachtet“ (Zeugin Julia H., 32).

Eine saubere Trennung zwischen den alten und den neuen Geheimdienstängsten war den Zeuginnen aber nicht möglich. Daniela K. hatte nämlich in einer ersten Polizeivernehmung gesagt, Strasser habe erst nach dem Auffliegen der „Sunday Times“-Affäre von Agenten gesprochen. In einer späteren zweiten Vernehmung klang dies dann freundlicher, da war dann davon die Rede, dass der nunmehrige Angeklagte schon Ende 2010 – vor Bekanntwerden der Sache – einen derartigen Verdacht geäußert habe. Auf die Frage des Richters „Was stimmt jetzt?“, musste K. eingestehen, dass ihr eine zeitliche Einordnung schwerfalle und dass es ja auch Geheimdienstalarm in zwei Fällen (einmal Swift und einmal „Lobbyisten“) gegeben haben könnte.

Was ist eigentlich ein Amtsgeschäft?

Aus Sicht der Anklage war vor allem Zeugin Katarin St. (28) wichtig. Sie hatte im Februar 2011 auf Geheiß Strassers regen E-Mail-Verkehr mit den Büros der ebenfalls von der ÖVP entsandten EU-Abgeordneten Hella Ranner und Othmar Karas (er ist für Donnerstag als Zeuge geladen). Es ging um die Änderung jener Anlegerschutzrichtlinie, die von den „Lobbyisten“ angestrebt wurde. Anklageschrift: „Dr. Strasser setzte sofort Schritte, um eine Einbringung des Abänderungsantrages zu ermöglichen.“

So hieß es in einem Mail von Katarin St. (damals hieß sie Katarin W.) an Karas-Mitarbeiterin Ulrike H.: „Denkst Du, dass man da noch etwas retten kann und ihr eventuell das Amendment (Abänderung, Anm.) einreichen könnt?“ Dieser Bereich ist nun für Strasser hochbrisant. Das Gericht muss klären: Sind solche Aktivitäten als pflichtwidrige Amtshandlungen zu werten? Wird dies bejaht, muss der 56-Jährige mit einem Schuldspruch rechnen.

Dann trat auch ein prominenter Zeuge auf: Peter Gridling, Direktor des, Zitat Strasser, „österreichischen Geheimdienstes“, nämlich des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, kurz BVT. Er berichtete von einem Termin im April 2011. Damals seien Ernst Strasser und dessen Lebensgefährtin zu ihm, Gridling, gekommen. Strasser habe gefragt, ob die von einem russischen Geschäftsmann ausgesprochene Einladung zu einem Konzert einen geheimdienstlichen Hintergrund haben könne. Die Antwort auf diese Frage verriet Gridling zwar nicht, aber doch so viel: Er habe damals beide gefragt, „ob dies mit Bergman & Lynch zu tun hat“? – „Und beide sagten ,Nein‘, damit hat das nichts zu tun.“ Somit ist ab sofort eine weitere Geheimdienstfront eröffnet.

Verdeckte Recherche

Der Presserat hat indirekt auf den Fall Strasser reagiert und einen neuen Unterpunkt in den Ehrenkodex für die österreichische Presse aufgenommen, der verdeckte Recherche von Journalisten in Einzelfällen ausdrücklich erlaubt. Es bleibt zwar generell unlauter, wenn ein Journalist über seine Identität täuscht oder schweigt – nach der neuen Regelung ist es aber erlaubt, wenn der Journalist so an Informationen gelangt, die für die Öffentlichkeit besonders relevant sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2012)

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