"Investierten in Menschen, die nicht bei uns sein wollten"

Tolgfors Investierten Menschen nicht
Tolgfors Investierten Menschen nicht(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Schwedens Ex-Verteidigungsminister Sten Tolgfors hält ein Berufsheer für effektiver und gerechter.

Die Presse: Im Jahr 2010 stieg Schweden von einem Wehrpflichtsystem auf ein Berufsheer um. Was waren die ausschlaggebenden Gründe dafür?

Sten Tolgfors: Die Effektivität – 70 Prozent der Grundwehrdiener verließen die Armee so schnell sie nur konnten. Wir investierten also in Menschen, die gar nicht bei uns sein wollten. Das Geld hätte man für die richtigen Soldaten aufwenden müssen. Und wie findet man die? Indem man sie fragt, ob sie zum Heer wollen. Außerdem behandeln wir mit dem neuen System Frauen und Männer gleich.

Was waren die größten Herausforderungen bei der Umstellung?

Wir hatten die allgemeine Wehrpflicht 110 Jahre lang. Dafür hatte die Reform einen ziemlich guten Start. Aber es gibt natürlich auch Lernbedarf. Zum Beispiel bei den Eignungskriterien – die müssen genau auf die Aufgaben der Soldaten angepasst werden. Und auch bei den Werbekampagnen für die Rekrutierung.

Apropos Rekrutierung: Es gibt in Schweden zwar genug Vollzeitsoldaten, aber zu wenig Teilzeitsoldaten. Wo liegt hier das Problem?

Es ist noch zu früh, um über Erfolg oder Misserfolg zu urteilen. Es gibt 4700 Interessenten, die eine Art vorläufigen Vertrag unterzeichnet haben und die auch Teilzeitsoldaten werden wollen. Seit Juli wurden schon 900 übernommen. Ziel für dieses Jahr waren 2400 – und es ist ja noch nicht vorbei.

Aber fast.

Es ist ein langwieriger Prozess, der erst 2018/2019 abgeschlossen sein wird. Einige Punkte werden nun einmal besser funktionieren als erwartet, andere weniger. Man muss in diesem neuen System lernen.

Wenn es keine Rekrutierungsprobleme gibt, warum stockt man das Werbebudget von acht auf 20 Millionen auf?

Natürlich ist es eine kontinuierliche Arbeit, das neue System in der Bevölkerung bekannt zu machen – nicht nur bei den Jungen. Und wie gesagt, es ist ein Lernprozess. Wir mussten vorher ja nie Freiwillige rekrutieren, den angemessenen Budgetrahmen muss man also erst einmal testen und herausfinden. Auch die Löhne wurden erhöht.

Das schwedische Armeebudget ist beinahe doppelt so hoch wie das in Österreich. Ist eine Reform auch bei uns umsetzbar?

Österreich hat keine Marine, wir investieren viel in unsere Luftstreitkräfte. Jedes Land muss nach den eigenen Bedürfnissen entscheiden.

Sollte auch in Österreich ein Berufsheer kommen: Was kann das Land von der schwedischen Reform lernen?

Ich bin nicht hier, um Österreich Tipps zu erteilen. Was aber für viele Länder wichtig ist: Die Flexibilität und Einsetzbarkeit muss gesteigert werden, denn viele Konflikte passieren unglaublich schnell.

Wie wichtig sind Kooperationen innerhalb der europäischen Staaten?

Für uns in Schweden sehr wichtig. Vor allem, weil auch andere Länder in Europa ihr Militärbudget kürzen. Dann muss man zusammenarbeiten.

Ein Nato-Beitritt kam nie infrage?

Nein, denn es gab und gibt für den Beitritt keine Mehrheit – weder in der Politik noch in der Bevölkerung. Außerdem halten wir uns in diesem Punkt an Finnland.

Auf einen Blick

Sten Tolgfors war von 2007 bis März 2012 schwedischer Verteidigungsminister, dann musste er nach einer Affäre um den Bau einer Waffenfabrik in Saudiarabien zurücktreten. Unter Tolgfors wurde das Wehrsystem reformiert – das schwedische Berufsheer ist ein Vorbild für Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2012)

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